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Aus: Ausgabe vom 10.08.2024, Seite 5 / Inland
Deindustrialisierung

Aus für Stahlsparte?

Duisburg: Aufsichtsratssitzung bei Thyssen-Krupp. Bosse wollen Industriezweig abstoßen. IG Metall befürchtet Jobverluste
Von Oliver Rast
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Sonnenuntergang: Romantischer Anblick – und bald vermutlich nur noch ein museales Relikt

Rostrote Hochöfen, backsteinerne Schornsteine – ein Schattenriss einer Industriekulisse, der Hütten- und Stahlwerke samt Kokereien. Kurz, die Silhouette des Duisburger Stadtteils Bruckhausen. Heimstätte von Thyssen-Krupp. Nur, der größte deutsche Stahlhersteller will seine Produktion drosseln, Werke oder Werksteile dichtmachen, Malocher loswerden. Besonders in der Ruhrmetropole, 13.000 der 27.000 Stahl- und Hüttenwerker des Konzerns ackern dort.

Unwidersprochen bleibt das nicht. Hunderte Beschäftigte versammelten sich schon am Donnerstag abend vor der Duisburger Hauptzentrale der Stahlsparte, berichtete der WDR am Freitag. Ein Fackelaufzug. Die Protestierer stellten dabei Holzkreuze samt Grablichtern auf. Dazu ein meterlanges Banner – Aufschrift: »Rote Linie«. Gut sichtbar vom Konferenzraum in der Zentrale, wissen Gewerkschafter der IG Metall (IGM).

Droht ein zweites Rheinhausen? Denkbar. Damals, 1987/88, wurde das Kruppsche Hüttenwerk samt Walzwerk geschlossen – trotz des starken, bundesweiten Protestes unter dem Motto »AufRuhr«. Am Freitag nun kam der Aufsichtsrat unter dem Vorsitzenden und Exbundesarbeitsminister Sigmar Gabriel (SPD) zusammen (nach jW-Redaktionsschluss). Hektisch und außerordentlich. Weil: Mehrfach wurde die Sitzung verschoben. Offenbar war Bernhard Osburg, der Chef der Stahlsparte in Duisburg, nicht in der Lage, einen neuen »Businessplan« vorzulegen, der unter anderem den sogenannten Betriebspunkt fixiert, berichtete die Wirtschaftswoche (Wiwo) gleichentags online. Bereits im Frühjahr hatten die Bosse verkündet, dass die Produktionskapazität am Standort von 11,5 auf etwa neun Millionen Tonnen pro Jahr verringert werden soll. Offen ist, was das für den Auslastungsgrad und die Wirtschaftlichkeit einzelner örtlicher Produktionsstätten bedeutet. Und nicht zuletzt für die Jobsituation zahlreicher Kolleginnen und Kollegen.

Denn eins steht fest: Konzernchef Miguel López will die Stahlsparte abstoßen, aus dem Firmengeflecht ausgliedern. Die Gründe, eine alte Leier: geringere Nachfrage, hohe Energiekosten, Überkapazitäten und Billigimporte aus Asien – ferner die Umstellung der Produktion auf »klimaneutralen, grünen Stahl«. Bis spätestens 2050, so will es jedenfalls die Ampelkoalition in Berlin.

Erste Schritte der Konzernausgliederung sind längst getan. Beleg: der Einstieg der Holding EP Corporate Group des tschechischen Milliardärs Daniel Křetínský im April. Dabei soll es nicht bleiben, angestrebt ist ein Joint Venture mit 50prozentiger Beteiligung Křetínský. Mindestens.

Zur Disposition dürften vor allem die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) stehen. Thyssen-Krupp Steel ist daran mit 50 Prozent beteiligt. »Der Hütte im Süden von Duisburg, in der mehr als 3.000 Menschen beschäftigt sind, droht die Schließung, sollte sich kein neuer Eigentümer für das Unternehmen finden«, so die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) am Freitag. Zweitgrößter Anteilseigner der HKM ist der niedersächsische Stahlkonzern Salzgitter. Derzeit gebe es Gespräche dazu, wie die Kosten bei einer »Neuaufstellung« aufgeteilt werden könnten, heißt es laut WAZ in Konzernkreisen.

Apropos Kosten. Die werden immens sein, wenn der Stahlsektor komplett ausgegliedert – und vor allem als eigenständiges Geschäftsfeld überleben soll. 2,5 Milliarden Euro seien nötig, besser vier Milliarden Euro, schätzt die Wiwo.

Was fordert eigentlich die IGM, was ist zu erwarten? Zunächst: Die Gewerkschaft organisierte in jüngster Vergangenheit mehrfach größere Proteste. Und mahnte wiederholt die Stahlbarone, bei der »Restrukturierung« Tarifverträge einzuhalten, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten, Standortgarantien über 2026 hinaus abzugeben. Dennoch, die Metaller befürchten, dass bis zu 6.000 Arbeitsplätze vernichtet werden könnten, »wenn man die Stellen in der Verwaltung dazurechnet«, so ZDF-»Heute« am Freitag.

Die Gefahr ist also akut: Duisburgs Bruckhausen könnte weiter »sein Gesicht« verlieren, stählerne Industrieruinen als Schattendasein.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (11. August 2024 um 15:15 Uhr)
    Das wird die Grünen erfreuen. Weniger Stahl bedeutet weniger CO₂ Ausstoß. Und ist es nicht das, was die militanten Umweltschützer umtreibt? Das Thema Deindustrialisierung findet in den Gedankenspielen eines Robert Habeck nur am Rande statt. Daher auch sein Beifall, als gewisse internationale Interessenten die Gasversorgung Deutschlands sabotierten, welche die deutsche Wirtschaft mit preiswerter Energie versorgte. Habeck und seine Klientel treibt der Traum vom »grünen Stahl« um. Wie und wann das erreicht werden kann und welche Rolle die Stahlwerker jetzt bei diesem »Wolkenkuckucksheim« spielen, das überlässt der grüne Neoliberale sehr gerne dem »Markt«. Über die Rolle der SPD als Ganzes, eines Aufsichtsratsvorsitzenden mit SPD-Parteibuch und der zuständigen Gewerkschaft bei diesem Kahlschlagkonzept sollte am besten geschwiegen werden, um die Netiquette nicht zu verletzen. Zu entlarvend ist deren Beitrag.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (9. August 2024 um 20:06 Uhr)
    Wo bekommen denn Rheinmetall & Co. künftig all die Unmengen an Stahl her für die Herstellung der in aller Welt so dringend benötigten westlichen wertebasierten freiheitlichen Friedenswaffen?
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (14. August 2024 um 22:03 Uhr)
      Im Gebiet der heutigen Ukraine liegt genug Schrott herum, den man nur einsammeln und einschmelzen muss.

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