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Aus: Ausgabe vom 12.08.2024, Seite 4 / Inland
NATO-Stellvertreterkrieg

Amtshilfe für Kiew

Bericht: Behörden in der BRD stellen Ukrainern im wehrfähigen Alter in der Regel keine Ersatzpapiere mehr aus. Rückkehr sei zumutbar
Von Kristian Stemmler
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Bürokratische Nötigung zum Kriegsdienst: Passpapiere wie diese gibt es vorerst nur noch in der Ukraine

Deutsche Behörden scheinen es als ihre Aufgabe zu betrachten, der Ukraine neue Soldaten zuzuführen, die sie an der Front verheizen kann. Zumindest aber schert die Ämter wenig, was ukrainischen Männer im wehrfähigen Alter ohne gültigen Reisepass droht. Diese bekommen in der Regel keine Ersatzreiseausweise in der BRD ausgestellt. Das hat eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den zuständigen Ministerien ergeben, wie die epd am Sonnabend berichtete. Vertreter der Bundesländer erklärten demnach, dass es wehrpflichtigen Männern zumutbar sei, zur Passbeschaffung in die Ukraine zu reisen und der Wehrpflicht nachzukommen.

So hieß es aus dem hessischen Innenministerium, die Ausländerbehörden würden konsequent Bundesrecht anwenden, »indem sie ukrainischen Männern im wehrfähigen Alter grundsätzlich keine deutschen Ersatzreiseausweise ausstellen«. Die Passhoheit liege bei den Heimatstaaten. In Hessen liegt die Zahl der ukrainischen Männer im wehrfähigen Alter laut Auskunft des Ministeriums bei rund 20.000. Laut epd verwies der Großteil der Bundesländer auf geltendes Bundesrecht: Der Aufenthaltsverordnung zufolge kann einem Ausländer, der über keinen gültigen Pass verfügt, nur dann ein Ersatzpapier ausgestellt werden, wenn er heimische Reisepapiere nicht auf zumutbare Weise erlangen kann. Die Erfüllung der Wehrpflicht gilt den Ausländerbehörden in der Regel als zumutbar.

Das Innenministerium in Sachsen-Anhalt erklärte gegenüber epd, »allein die Vermutung, dass der Antragssteller tatsächlich zum Wehrdienst einberufen wird«, reiche nicht aus, um eine Passbeschaffung im Heimatland als »unzumutbar« einzustufen. Über mögliche Ausnahmen wie die notwendige Behandlung einer Krankheit oder die Betreuung von engen Familienangehörigen in Deutschland entscheiden demnach die Ausländerbehörden im Einzelfall. Die Berliner Senatsverwaltung für Inneres teilte mit, dass es zwischen ukrainischen Staatsangehörigen und anderen Staatsangehörigen »auch in der Frage der Wehrpflicht« nicht unterscheide.

Weil Kiew die Soldaten ausgehen, beschloss das dortige Parlament Ende ­April ein strenges Mobilmachungsgesetz. In einer damals im amtlichen Onlineportal der Regierung veröffentlichten Verordnung heißt es, der Versand von Pässen an diplomatische Vertretungen der Ukraine im Ausland werde »nicht mehr praktiziert«. Seitdem werden die Pässe ukrainischer Männer zwischen 18 und 60 Jahren in den Konsulaten ihres Landes nicht mehr verlängert. Dafür müssen die Betroffenen in die Heimat reisen, wo ihnen unter dem geltenden Kriegsrecht die sofortige Rekrutierung für den Fronteinsatz droht.

Beifall für die Behörden kommt von SPD und CDU. So hatte der SPD-Verteidigungspolitiker Joe Weingarten gegenüber dem Tagesspiegel Anfang August das Vorgehen der hessischen Behörden begrüßt. Es könne nicht sein, »dass die einen Ukrainer in einem schweren Abwehrkampf den Kopf hinhalten und die anderen sich hier in Deutschland dieser Pflicht entziehen«, sagte Weingarten. Thorsten Frei (CDU), parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, erklärte gegenüber dem Blatt, wenn die Ukraine sich erfolgreich gegen Russland verteidigen wolle, »braucht sie diese Männer im wehrfähigen Alter«. Daher sei es konsequent, ihnen hierzulande keine Ersatzpässe auszustellen. CSU-Chef Markus Söder hatte im Juli offen erklärt, bei einer Regierungsbeteiligung im Bund auf Anfrage Kiews wehrpflichtige Ukrainer zurückzuschicken.

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist in der Ukraine für den Großteil der Bevölkerung ausgesetzt, nur Mitglieder bestimmter religiöser Gemeinschaften dürfen es wahrnehmen. Insgesamt leben nach Angaben des Bundesinnenministeriums derzeit 268.176 ukrainische Männer im wehrfähigen Alter in Deutschland. Seit einigen Monaten versucht die Ukraine, den Druck auf Männer im Wehralter zu erhöhen, die im Ausland leben und sie zur Rückkehr zu bewegen. Ohne gültigen Pass droht Ukrainern in der BRD laut Bundesregierung zwar vorerst keine Abschiebung. Allerdings werden offizielle Dokumente im Alltag benötigt, zum Beispiel bei der Geburt eines Kindes oder wenn man ein Konto eröffnen will.

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  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (11. August 2024 um 20:50 Uhr)
    Und wieder mal wird das vorgegaukelte Asylrecht bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt. Anwendung findet es nur noch gegenüber Staaten, die der hiesige Wertestaat nicht mag, ihnen feindselig gesonnen ist. Also auch hier triumphiert die Beliebigkeit, grade so wie es der Regierung in Berlin in den Kram passt. Je mehr also die Verfassung ausgehöhlt wird, desto mehr wird sie vom deutschen Staat einerseits wie eine Monstranz hochgehalten, zudem als Waffe gegen mißliebige Oppositionelle zum Einsatz gebracht.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (12. August 2024 um 16:07 Uhr)
      Wie viele Ukrainer im wehrfähigen Alter haben einen Asylantrag in Deutschland gestellt? Hier https://www.germany4ukraine.de/hilfeportal-de/einreise-aufenthalt-und-rueckkehr/ukraine-aufenthaltserlaubnis kann man das lesen: »Mit der Ukraine-Aufenthaltserlaubnis-Fortgeltungsverordnung werden ab dem 1. Februar 2024 noch gültige Aufenthaltserlaubnisse zum vorübergehenden Schutz automatisch bis zum 4. März 2025 verlängert. Diese wurden und werden gemäß § 24 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz für anlässlich des Krieges in der Ukraine nach Deutschland eingereiste Ausländer gewährt. Für eine Verlängerung müssen die Geflüchteten die zuständige Ausländerbehörde nicht aufsuchen.«

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