»Ihnen droht auf jeden Fall die Einberufung in den Krieg«
Interview: Milan NowakHessische Behörden verweigern ukrainischen Männern im wehrpflichtigen Alter Ersatzreiseausweise. Welche Folgen hat das für die Betroffenen?
Das hessische Innenministerium hat per Erlass geregelt, dass diese ukrainischen Männer, soweit sie den befristeten humanitären Aufenthalt nach der sogenannten Massenzustromrichtlinie haben, auch dann einen Aufenthalt bekommen, wenn ihr Pass abgelaufen ist. Es wird zwar nicht den geforderten Reiseausweis für Ausländer geben, sondern eine Aufenthaltserlaubnis mit Ausweisersatz. Was so kompliziert klingt, hat zur Folge, dass die Betroffenen zumindest bis zum März 2026 in Deutschland bleiben können, aber ohne gültigen Pass nicht mehr ins Ausland reisen können. Deutlich schwieriger ist es übrigens für die Gruppe von ukrainischen Männern im wehrpflichtigen Alter, die mit einem anderen Aufenthalt in Deutschland sind, etwa um zu arbeiten. Ihr Aufenthalt ist bei Ablauf des Reisepasses tatsächlich in Gefahr.
Welche Alternativen haben die Betroffenen, um weiterhin außerhalb Deutschlands reisen zu können?
Eine wirkliche Alternative gibt es nicht. Wir müssen ja sehen, dass neue Reisepässe von der Ukraine nur ausgestellt werden, wenn die Betroffenen sich in der Ukraine melden, dort neu militärisch registriert und gemustert werden. Es droht ihnen bei einer Rückkehr in die Ukraine auf jeden Fall die Einberufung in den Krieg. Und aufgrund der Ausreisesperre der Ukraine, die seit Kriegsbeginn gilt, können sie nicht mehr ausreisen.
Wie ordnen Sie das Verhalten der hessischen Behörden politisch ein?
Interessant ist ja vor allem, dass das hessische Innenministerium zum einen erklärt hatte, keinen Reiseausweis für Ausländer auszustellen und dies mit dem Hinweis verband, dass den Betroffenen zumutbar sei, zur Passbeschaffung in die Ukraine zu reisen und der Wehrpflicht nachzukommen. Wenn wir dazu die tatsächliche Regelung anschauen, ist das sehr widersprüchlich. Insofern sehe ich hier eher einen Versuch, die Geflüchteten zu verunsichern und ihren Aufenthalt in Frage zu stellen, obwohl gesetzlich klare Grenzen gesetzt sind. Ähnliches ist auch in den letzten Monaten immer wieder passiert. Die ukrainische Regierung hatte verkündet, Auslieferungsanträge stellen zu wollen. Die sind aber bei Militärstrafvergehen nicht zulässig, besagt das Europäische Auslieferungsabkommen. Es war also rechtlich überhaupt nicht haltbar, hat aber für sehr viel Unruhe in der Community gesorgt.
Wie helfen Sie ukrainischen Kriegsdienstverweigerern?
Die Ukraine erkennt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung seit Anfang des Krieges nicht mehr an. Und bereits zuvor war es nur für wenige wahrnehmbar. Das verstößt sehr eindeutig gegen Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des EGMR, der bereits 2011 die Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht anerkannt hat. Wir unterstützen die Betroffenen in der Ukraine mit Kampagnen und rechtlichem Beistand bis hin zum EGMR. Sie sehen sich mit Verurteilungen zu Haft von bis zu vier Jahren konfrontiert.
Hier in Deutschland geht es angesichts dieser Desinformationskampagnen darum, wirklich zutreffende Informationen in den verschiedenen Sprachen zur Verfügung zu stellen und in Beratungsgesprächen darüber zu informieren. Darüber hinaus erreichen uns allerdings auch zunehmend Anfragen von ukrainischen Männern, die aufgrund eines Familienurlaubs oder aufgrund einer Militärausbildung in Deutschland sind und nicht mehr zurückkehren wollen. Sie gelten dann als Deserteure. Und hier bleibt vielen in der Tat nur ein Asylantrag mit sehr ungewissem Ausgang.
Was kann man tun, um die Betroffenen zu unterstützen?
Wer Kontakt zu Betroffenen hat, wird aus erster Hand die Sorgen und Nöte erfahren. Und wenn es für die Betroffenen unsicher oder unklar ist, dann sind wir in solchen Fällen immer gerne ansprechbar, um mit ihnen Lösungen zu finden. Für uns hat jeder und jede das Recht, sich dem Kriegsdienst zu verweigern, auch in einem Verteidigungskrieg.
Rudi Friedrich ist aktiv bei Connection e. V., einem Verein für internationale Arbeit zu Kriegsdienstverweigerung und Desertion
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