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Kofferfragen

Von Helmut Höge
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Der Koffer einer Bekannten aus Ghana war auf dem Mailänder Flughafen beim Umsteigen in ein Flugzeug nach Berlin nicht mitgenommen worden. Sie bat mich, ihr zu helfen. Für solche Fälle gibt es das Montrealer Übereinkommen. Es legt fest, dass der kofferlos dastehende Reisende Anspruch auf Ersatzkleidung und Hygieneartikel hat, deren Kosten die Airline erstatten muss. Wenn der Koffer ganz weg ist, wie bei der Ghanaerin, kann man eine Entschädigung (bis zu 1.675 Euro) verlangen. Die Fluggesellschaften zahlen jedoch oft weniger als gewünscht. Im Falle der Ghanaerin gar nichts.

Umgekehrt war der Fall bei einer Bekannten aus Hongkong, die ich in Berlin zum Flughafen fuhr: Sie hatte ihren Koffer mit Geschenken für ihre große Familie so vollgepackt, dass er viel zu schwer war. Das »Übergepäck« war für sie und mich kaum bezahlbar. Ich bot ihr an, die Hälfte des Kofferinhalts als Paket nachzuschicken. Auch das war dann nicht billig.

Ebensowenig mein jüngstes Koffererlebnis: Ich musste in Basel übernachten. Am nächsten Tag gab ich für zwölf Franken meinen Rollkoffer bei der Gepäckaufbewahrung auf dem Hauptbahnhof Basel SBB ab, weil ich noch in der Stadt spazierengehen wollte. Danach holte ich meinen Koffer ab und stieg in den Zug nach Berlin, wo ich nach einiger Zeit im Bordbistro ein Buch aus dem Koffer holen wollte. Dabei stellte ich fest, dass es nicht mein Koffer war, denn es befand sich plötzlich eine rumänische Bibel darin. Ohne Lektüre aß und trank ich statt dessen für 38 Euro.

Die zwei männlichen Zugbegleiter meinten dienstlich gestimmt zu mir, ich solle den falschen Koffer in Berlin zum Basler Hauptbahnhof zurückschicken und im Internet eine Verlustmeldung bei der Deutschen Bahn ausfüllen. Eine weitere Zugbegleiterin hatte jedoch Mitleid mit mir und telefonierte nach hierhin und dorthin. Heraus kam schließlich, dass sie den Koffer des Rumänen beim nächsten Halt in Karlsruhe zum Bahnhof Basel SBB zurückschicken würde. Seinen Besitzer hatte man bereits auf den nächsten Tag vertröstet. Meinen Koffer, den man dort schon mit meinem Namen versehen hatte (wenn auch auf Schweizerisch: »Högge«) würde man zum Badischen Bahnhof Basel bringen, der zu Deutschland gehöre. Von dort gehe alle zwei Wochen ein DHL-Transport ab, mit dem mein Koffer dann für 20 Euro nach Berlin reise.

In Berlin erhielt ich am nächsten Tag eine Mail von einer Frau, die bei der Gepäckaufbewahrungsstelle am Badischen Bahnhof Basel arbeitete. Sie hätte Nachtschicht gehabt, schrieb sie, und da nur wenig los war, hätte sie meinen Koffer schon mal versandfertig gemacht. Er würde deswegen bereits in den nächsten Tagen mit DHL zu mir unterwegs sein.

Im Internet erfuhr ich dann, dass ich 1. über eine DHL-Sendungsverfolgung herausbekommen konnte, wo sich mein Koffer gerade auf der Strecke Basel–Berlin befand, und dass es sich 2. bei DHL um die Anfangsbuchstaben von drei cleveren Amis handelt, deren Geschäftsidee 1969 darin bestand, die Warenbegleitpapiere schon vor dem eigentlichen Warentransport zu versenden, damit die Verzollung der entsprechenden Schiffsladungen bereits vor dem Eintreffen der Schiffe beginnen konnte. Bei den Waren handelte es sich zumeist um Versorgungsteile für Ölbohrstellen und Bohrinseln.

2002 kaufte die zuvor privatisierte Deutsche Bundespost für viel Geld den weltweit tätigen Expressdienst DHL. Die Deutsche Post AG besitzt heute laut Wikipedia fünf Airline-Tochtergesellschaften, die für DHL tätig sind. Sie verfügt über 250 Flugzeuge und weitere 21 Flugzeuge auf Bestellung.

2011 arbeitete ein TV-Journalist drei Wochen »Undercover als Paketsklave« für einen Servicepartner von DHL. Der Film übte Kritik an den Arbeitsverhältnissen der Zusteller. 2012 trennte sich DHL von dem Subunternehmer. 2023 erhielt die DHL Group zum zweiten Mal den Datenschutznegativpreis »Big Brother Award« in der Kategorie Verbraucherschutz, weil »sie die Technik ihrer Packstationen so umgestellt hatte, dass man dort kein Paket mehr abholen kann ohne Smartphone und die Nutzung der Post & DHL App«. Die Jury begründete ihre Entscheidung überdies damit, dass die »Post & DHL App« ungefragt Daten an Trackingunternehmen sendet und die Ersetzung von Postfilialen durch Paketstationen einen »Versuch, sich den Pflichten der Grundversorgung bei der Briefzustellung zu entziehen«, darstelle.

Ich konnte anhand der DHL-Sendungsverfolgung feststellen, dass mein Koffer tagelang in Karlsruhe lagerte. Aber dann ging es doch weiter – bis ich ihn schließlich vom Zusteller gegen Zahlung von 20 Euro wiederbekam. Indem ich hier nun darüber berichte und dafür von der jungen Welt ein Honorar bekomme, habe ich unterm Strich aber sogar noch einen kleinen Gewinn gemacht.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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