75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Mittwoch, 11. September 2024, Nr. 212
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 13.08.2024, Seite 1 / Titel
Ukraine-Krieg

Selenskij spielt mit Feuer

Ukraine beschießt offenbar von Russland kontrolliertes AKW Saporischschja. Moskau evakuiert auch grenznahe Region Belgorod
Von Reinhard Lauterbach
1.jpeg
Ein Schaden am größten AKW Europas könnte weite Gebiete dauerhaft verstrahlen (Energodar, 11.8.2024)

Auf dem Gelände des abgeschalteten Atomkraftwerks Saporischschja am Dnipro hat es am Sonntag abend mehrere Explosionen und anschließend offenbar einen Brand gegeben. Dies geht aus einem Lagebericht der in der Anlage stationierten Beobachtungsmission der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) vom Montag hervor. Vor allem der Hinweis auf die Explosionen in der Nähe eines der Kühltürme scheint die russische Darstellung zu stützen, dass die Ukraine eine oder mehrere Drohnen auf das AKW oder die direkt daran angrenzende Stadt Energodar abgefeuert habe. Kiew beschuldigte zuerst Russland, selbst die Explosionen herbeigeführt zu haben; später hieß es dann, russische Soldaten hätten auf dem Kraftwerksgelände alte Autoreifen verbrannt. Das direkt am – inzwischen ehemaligen – Stausee von Kachowka gelegene AKW ist das größte in Europa. Es wurde im März 2022 von russischen Truppen erobert und Ende 2022 wegen häufiger ukrainischer Angriffe heruntergefahren. Die Brennelemente müssen aber weiter gekühlt werden. Nach Angaben der IAEO ist die Strahlungssituation rund um die Anlage trotz des mutmaßlichen Angriffs unverändert.

Die Frage ist, welche Absicht Kiew mit dieser Aktion verfolgt haben könnte. Hinweise liefern Artikel aus den britischen Medien Times und Economist vom Wochenende zum ukrainischen Einmarsch in das russische Gebiet Kursk. Demnach soll Präsident Wolodimir Selenskij die Entscheidung persönlich und gegen den Rat seiner Generäle getroffen haben, um den weltweit Raum gewinnenden Eindruck zu entkräften, die Ukraine sei dabei, den Krieg gegen Russland zu verlieren. Deshalb habe der Präsident einige der kampfkräftigsten Brigaden von der unter Druck stehenden Front im Donbass abgezogen. Die Times bezeichnete diesen Entschluss als den riskantesten, den Selenskij bisher getroffen habe. Die Bundesregierung sprach am Montag ebenfalls über eine »offenbar sehr geheim und ohne Rückkoppelung vorbereitete Operation«. Der Economist zitierte auch ukrainische Offiziere mit der Aussage, Russland sei nicht in die ukrainische Falle gegangen; es ziehe zwar Truppen von den Fronten bei Charkiw und im Donbass nach Kursk ab, aber viel weniger, als Kiew einkalkuliert habe. Aus Aussagen verwundeter ukrainischer Soldaten gegenüber dem britischen Reporter geht auch hervor, dass Russland seine Überlegenheit bei Drohnen und elektronischer Kampfführung inzwischen zurückzugewinnen scheint.

Über die Lage im russisch-ukrainischen Grenzgebiet gibt es weiterhin nur wenig direkte Informationen. Die ukrainischen Truppen haben sich knapp eine Woche nach dem Einmarsch offenbar in einem etwa zehn Kilometer tiefen Grenzstreifen festgesetzt und führen von dort aus mit kleinen, mit Motorrädern und Quads ausgerüsteten Kampfgruppen Angriffe ins russische Hinterland in eine Tiefe von bis zu 40 Kilometern hinter der Grenze durch. Der kommissarische Gouverneur von Kursk, Alexej Smirnow, erklärte in einer Beratung mit Präsident Wladimir Putin am Montag, dass etwa 120.000 Menschen in seiner Region evakuiert worden seien, 28 Ortschaften befänden sich in ukrainischer Hand. Unter den evakuierten Landkreisen seien auch zwei Kreise in der Nähe des Kernkraftwerks Kursk. Gleichentags folgte die Evakuierungsanordnung des Gouverneurs der an das Gebiet Kursk südlich angrenzenden Region Belgorod. 11.000 Menschen seien allein aus einem Grenzbezirk in Sicherheit gebracht worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur TASS.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (13. August 2024 um 14:03 Uhr)
    Neueste Meldung aus Kiew: Die Ukraine kontrolliert 1000 Quadratkilometer russischen Territoriums. Mit insgesamt 1000 Soldaten. Was für eine unglaubliche Effektivität beim Truppeneinsatz! Gewiss ist das eine neue Weltspitzenleistung.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Detlev S. (13. August 2024 um 08:55 Uhr)
    Dieser Beitrag dürfte ein weiterer Beweis dafür sein, dass Atomkraft nicht in die Verfügungsgewalt der Spezies Mensch gehört! Während man in den 60iger/70er Jahren durchaus noch bewundernd auf die Möglichkeiten zur Energieausbeute schielen durfte und... unter Nichtbeachtung der Wertschöpfungskette insgesamt…. von sauberer Energie sprach, müsste nun dem letzten Zweifler klar sein, welchem primären Zweck die Atomenergie zugeführt wurde. Die intellektuelle Zurechnungsfähigkeit der Protagonisten, egal ob an den »Hebeln der Macht« oder im Kriegsgebiet, befindet sich in einem Stadium, welches man als nichtexistent bezeichnen muss! Unsere existentielle Selbstaufgabe scheint so weit vorangeschritten, dass wir nicht mehr in der Lage zu sein scheinen, die Konsequenzen zu erfassen! Offenbar sind uns unsere Kinder und/oder Enkel völlig egal! Wie durchgeknallt muss man sein, ein Atomkraftwerk zu beschießen! Wie geistig minderwertig muss man sein, diese Tatsache zu bagatellisieren und letztendlich zu ignorieren? Man muss den PR-Agenturen unserer westlichen Wertgemeinschaft zu ihren Erfolgen gratulieren! Weltanschauung wird weitgehend ersetzt durch Meinungsabgleich mit »Tagesschau« und »heute- show«.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (12. August 2024 um 20:36 Uhr)
    »Ertrinkende haben Panik und neigen dazu, sich an alles und allem festzuklammern.« (https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/erste-hilfe/notfall/ertrinken.html). Jedenfalls stellt sich bei mir diese Verknüpfung mit Selenski ein. Warum sollte er anders reagieren als seine Vorbilder im Weisen Haus, von dem man ja nicht weiß, ob es bald Waisenhaus heißen wird. Allerdings ist die Art von Feuer, mit der er spielt, etwas gefährlicher als der gegenwärtige Waldbrand in Griechenland. Unter Benutzung des Glaslschen Konflikteskalationsmodells (https://dieprojektmanager.com/konflikteskalation-nach-friedrich-glasl/) neige ich zur Interpretation, dass er sich auf dessen Stufe 9 sieht und den gemeinsamen Abgang in den Abgrund anstrebt.

Ähnliche:

  • Zerstörtes Haus nach ukrainischem Beschuss am Dienstag abend in ...
    08.08.2024

    Vorstoß nach Russland

    Ukraine greift Grenzbezirk Kursk an. Einige russische Dörfer besetzt, Kämpfe um Kreisstadt Sudscha
  • Große Sorge: Delegation der Internationalen Atomenergiebehörde b...
    10.04.2024

    Drohneneinschlag in AKW

    »Nuklearterror«: Russland beruft Dringlichkeitssitzung der Internationalen Atomenergiebehörde ein