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Aus: Ausgabe vom 13.08.2024, Seite 3 / Ausland
Faschisten in Großbritannien

Rückkehr zu dunklen Tagen

Die English Defence League als Freikorps des britischen Imperialismus
Von Susann Witt-Stahl
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Faschist »Tommy Robinson« spricht auf einer Großkundgebung vor 15.000 Anhängern am 27. Juli in London

Die Scherben der Krawalle gegen muslimische Migranten, Geschäfte und Moscheen sind längst zusammengefegt. Aber der von Elon Musk prognostizierte und über seinen Mikrobloggingdienst X mitangeheizte »unvermeidliche Bürgerkrieg« könnte nur verschoben sein. Nicht zuletzt die vielen »EDL«-Rufe aus den Randalemobs, die vergangene Woche durch das ganze Land tobten, haben belegt, dass die formal 2015 aufgelöste English Defence League nicht nur als Idee weiterlebt – sie existiert auch als Bewegung und hat großes Mobilisierungspotential. Ebenso lässt die öffentliche Dauerpräsenz von Stephen Yaxley-Lennon – alias »Tommy Robinson« –, der die Organisation offiziell 2013 verlassen hat und sich heute als »Journalist« ausgibt, keinen Zweifel daran, dass er nach wie vor deren Führer ist.

Zwar ist das britische Establishment gegenwärtig eifrig bemüht, die EDL als »Thugs« (Schläger) zu verdammen. Aber bisher haben seine Leitmedien »Tommy Robinson«, etwa in TV-Talkshows, ausführlich zu Wort kommen lassen – sogar im exklusiven Debattierklub Oxford Union Society ließ es ihn auftreten. Als allzu nützlich erweist sich seine Fascho-Radau-Truppe, in der sich viele Armeeveteranen finden, mit einer prowestlichen Programmatik, mit der sie sich von den meisten Neonazis unterscheidet: Die EDL ist bis heute Multiplikator der Neocon-Ideologie des »War on Terror«: Seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 dient sie vor allem der Legitimierung des Massenschlachtens im Gazastreifen. »Wir erleben eine Rückkehr zu den dunklen Tagen unmittelbar nach dem 11. September«, so die Publizistin Shaista Aziz, die die Labour Party verließ, nachdem Parteichef Keir Starmer die Kollektivbestrafung der Bevölkerung von Gaza gebilligt hatte. »Britische Muslime, die ein Ende des Tötens fordern, werden von den politischen Machthabern wie auch von den nationalen Mainstreammedien als ›Hassprediger‹ gebrandmarkt.«

Die EDL hatte sich 2009 in »Robinsons« Heimatstadt Luton gegründet, nachdem islamistische Demonstranten ein aus dem Irak-Einsatz heimgekehrtes Bataillon bei einer Parade als »Butchers of Basra« beschimpft hatten (woraufhin rechte Schläger muslimische Geschäfte verwüsteten). Seitdem bediene die »Verteidigungsliga« sich eines Rassismus, der Muslime »durch das Prisma der Terrorismusbekämpfung« als nicht assimilierbare »islamische Suprematisten« betrachte und verlange, »dass die britische Identität gefördert werden muss, um muslimische Gewalt einzudämmen«, so eine Analyse, die auf dem Akademikerblog »British Politics and Policy« zu lesen ist. Die EDL sei vor allem »eine Pro-Krieg-Bewegung – sie ging aus den Post-9/11-Kriegen in Afghanistan und im Irak hervor«, meint Liz Fekete, Leiterin des Institute of Race Relations in London.

Dass die EDL bis heute als Freikorps des britischen Imperialismus fungiert, zeigt auch ihr Schulterschluss mit ultrarechten Exiliranern, der von den britischen Qualitätsmedien unisono verschwiegen wird: Nicht nur marschieren persische Monarchisten bei den Demonstrationen der »Verteidigungsliga« mit. »Tommy Robinson« ventiliert auch das mit antikommunistischer Hysterie aufgeladene Kriegsgeschrei von Reza Pahlavi II., dem Sohn des 1979 gestürzten Schahs und designierten Kronprinzen, der »seinen« Iran »unterjocht« von einer »Einheitsfront aus Marxisten und Islamisten« wähnt. »Sie müssen den Krieg gegen diese giftige und mörderische Ideologie nicht allein ausfechten, aber Sie müssen sich bewusst sein, dass sie gegen Sie Krieg führt«, so Pahlavis alarmistische Botschaft an die US-Amerikaner, die sich auf dem X-Kanal des EDL-Führers findet. Dieser ruft zur »Befreiung des iranischen Volks« auf: »Es ist das totale Gegenteil zu Gaza, wo die Bevölkerung die terroristische Herrschaft unterstützt.« Für solche Appelle bekommt »Robinson« – dessen Video »Silenced« über »unterdrückte Wahrheiten« etwa von Donald Trump und Geert Wilders mit 42 Millionen Klicks durch die Decke geht – verdienten Applaus von fanatischen »Zionwarriors«, aber auch Geld von millionenschweren Islamhassern, für die Armageddon eine hoffnungsvolle Option ist.

Solange solche von Menschenrechtsimperialismus durchwirkte Islamophobie als »respektabler Rassismus« gebraucht wird, wie die sozialistische Initiative Counterfire sie bereits 2010 charakterisierte, sind britische Regierungen nicht ernsthaft an der Bekämpfung der EDL interessiert. Ähnlich wie die AfD der Ampelregierung in Deutschland als »Argument« für eine »wehrhafte Demokratie« dient, die den reaktionär-militaristischen Staatsumbau voranbringt, liefern ihre jüngsten Ausschreitungen dem Law-and-Order-Premier Keir Starmer eher ein Alibi für die Durchsetzung polizeistaatlicher Maßnahmen – wie die bereits beschlossene Einrichtung eines »stehenden Heers von Spezialbeamten«. Dieses kann jederzeit gegen das seit dem 7. Oktober heftig repressierte Antikriegslager und andere Linke eingesetzt werden, die gerade die Faschisten von der Straße gefegt haben.

Hintergrund: EDL-Sponsoren

»Tommy Robinsons« Hass- und Desinformationskampagnen werden von finanzkräftigen Unternehmern aus den USA gefördert. Wie Byline Times enthüllte, hat die Firma MICE Media von dem Trump-Unterstützer Bryn Davis bei der Fertigstellung einer überarbeiteten Fassung von »Robinsons« Propagandafilm »Silenced« (der Horrorstories u.a. über syrische Migranten enthält) geholfen, den Elon Musk jüngst durch Tweets viral gehen lassen hat.

Ein Geldbeschaffer ist Patrick M. Byrne, Betreiber des Onlineversandhandels Overstock.com, ebenfalls ein Trump-Promoter. Byrne hat auf der Evangelikalen-Fundraiser-Plattform Give Send Go, auf der auch Kampagnen für die »Proud Boys«, QAnon und andere ultrarechte Netzwerke laufen, eine Spendenaktion für »Tommys investigativen Journalismus« gestartet.

Bereits 2018 war bekanntgeworden, dass der Tech-Milliardär Robert Shillman mit einem Stipendium die Beschäftigung von »Tommy Robinson« bei der rechten Onlineplattform Rebel Media finanzierte, die dem EDL-Chef ein Monatsgehalt von 5.000 Pfund bescherte. Schillman ist Vorstandsmitglied der Friends of the Israel Defense Forces und einer der prominentesten Förderer der »Counter-jihad«-Bewegung.

Von Daniel Pipes’ Islamhasser-Thinktank Middle East Forum, der Israel und die Militäreinsätze der USA unterstützt, darunter den Irak-Krieg 2003, hat der EDL-Führer 60.000 US-Dollar für Rechtshilfe erhalten. Andere Denkfabriken der Kriegs- und Rüstungslobby, die sich für eine Eskalation des Nahostkonflikts engagieren, leisten ideologische Schützenhilfe. Zum Beispiel empfehlen und verbreiten das Gatestone Institute, das bis 2018 von John Bolton, neokonservativer Hardliner und Exsicherheitsberater von Trump geleitet wurde, und das David Horowitz Freedom Center, Betreiber u.a. des »Jihad Watch«-Blogs, Artikel von »Tommy Robinson«.

(sws)

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