Angst vor Bildern
Von Jamal IqrithNicht nur Taylor Swift besucht gerne ihre Fans. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) machte zu Beginn ihrer »Sicherheitstour durch sieben Bundesländer« am Montag Station bei der Zentrale des Bundesamtes für »Verfassungsschutz« (BfV) in Köln. Auf einer Pressekonferenz mit den zwei Vizechefs der Behörde informierte die Ministerin über die aktuelle Sicherheitslage in der Republik, bedankte sie sich bei den »Verfassungsschützern« für ihre Arbeit und warb für mehr Befugnisse für die deutschen Behörden. Wenige Tage nach der Absage der Taylor-Swift-Konzerte in Wien wegen Terrorgefahr sei auch in Deutschland die Bedrohungslage »anhaltend hoch«. Verantwortlich dafür sei vor allem die Lage in Nahost, die sich auch auf die Situation in Deutschland auswirke. Gegen die Bedrohung, die sich seit den Angriffen der Hamas am 7. Oktober erheblich verschärft habe, sei man bisher erfolgreich vorgegangen, unter anderem durch das Verbot der Hamas, des Gefangenennetzwerks Samidoun und zuletzt des Islamischen Zentrums Hamburg.
BfV-Vizepräsident Sinan Selen sprach später offen aus, was Faeser nur angedeutet hatte: »Je mehr Bilder generiert werden im Nahen Osten, die hier in Deutschland auch wirken, desto mehr wird es auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage hier haben«, sagt er mit Blick auf »Triggerereignisse« in der Region. Gemeint sein dürften wohl Bilder von zerfetzten Kindern und Körperteilen in Plastiktüten, wie nach dem jüngsten israelischen »Präzisionsschlag« auf eine Schule voller Vertriebener in Gaza-Stadt, die seit den 309 Tagen Genozid im Gazastreifen auf Plattformen wie X und Tik Tok zu sehen sind. Folgen solcher Massaker waren in Deutschland bisher weniger Anschläge, sondern vor allem Demonstrationen und Friedenscamps an Universitäten, gegen die mit härtester Hand vorgegangen wurde.
Auch von staatlichen Akteuren gehe vermehrt Gefahr aus, so Faeser – in erster Linie angesichts der »russischen Aggression gegenüber Europa«. Das betonte auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei der Vorstellung des Halbjahresberichts 2024 am Montag. »Extremisten aller Ausrichtungen« ließen »nichts unversucht, um unseren Staat und unsere Demokratie ins Wanken zu bringen«, sagte er am Montag in München. Flankiert werde die Bedrohungslage durch Desinformationskampagnen, Spionage und Sabotageaktionen.
Daneben bedrohten »Linksextremisten«, die Wirtschaftsunternehmen und kritische Infrastruktur attackierten, »unsere freiheitliche Demokratie«, so die BfV-Vizepräsidentin Silke Willems in Köln. Daher dürfe man sich keine »blinden Flecken« erlauben. Die Gefahr von rechts, die im Verfassungsschutzbericht 2023 noch als »größte Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie« bezeichnet wird, erwähnte Willems pflichtgemäß mit einigen wenigen Bemerkungen: Zum Lagebild gehöre auch die Entwicklung in der »rechtsextremistischen Szene«.
Auf Nachfrage bekräftigte Faeser zuletzt angekündigte Verschärfungen im Waffenrecht. Vor dem Hintergrund einiger Attacken mit Messern, die zuletzt Schlagzeilen gemacht haben, sollen zukünftig im öffentlichen Raum nur noch solche mit Klingen von bis zu sechs statt wie bisher zwölf Zentimetern zulässig sein. Für den Erwerb von langen Küchenmessern, die zum Beispiel in Einkaufstüten durch den öffentlichen Raum bis nach Hause transportiert werden müssen, werde man selbstverständlich eine Ausnahmeregelung treffen. Daneben sind stärkere Kontrollen und die Möglichkeit von »Messerverbotszonen« vorgesehen.
Die harten Kontrollen während und nach der EM lobte die Innenministerin schließlich als »erfolgreiche« Maßnahmen. Da auch Deutschland »im Fokus dschihadistischer Organisationen« wie dem »Islamischen Staat« stehe, sei es allerdings »nötig«, den Behörden die »entsprechenden Befugnisse« zu erteilen. Auf Nachfrage zum Datenschutz in bezug auf das jüngst von der Ministerin ausgegebene Ziel der Nutzung von Gesichtserkennungssoftware zur Fahndung durch Bundeskriminalamt und Bundespolizei reagierte sie brüskiert: »Es kann nicht sein, dass alle mehr Sicherheit fordern, aber wenn es um die Befugnisse geht, dass alle sich zurückziehen hinter dem Datenschutz.«
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