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Aus: Ausgabe vom 13.08.2024, Seite 4 / Inland
»Arbeitspflicht« für Asylsuchende

Ausbeuten fürs Gemeinwesen

Thüringen: Saale-Orla-Kreis zieht Zwischenbilanz zu Arbeitszwang für Geflüchtete
Von Marc Bebenroth
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Ganz legal werden die billigsten Arbeitskräfte mit Strafandrohung zu Hilfstätigkeiten verdonnert. Wenig überraschend fällt die amtliche Zwischenbilanz im thüringischen Saale-Orla-Kreis durchweg positiv aus. Seit Anfang des Jahres hat die Landkreisverwaltung rund 100 Geflüchtete zu gemeinnütziger Arbeit zwingen können. Das sagte ein Landkreissprecher laut dpa-Bericht vom Montag. 20 von ihnen sollen mittlerweile einer regulären Erwerbstätigkeit nachgehen. Inwiefern das eine Folge der bis zu vier Stunden am Tag dauernden, mit 80 Cent pro Stunde vergüteten Hilfstätigkeiten ist, konnte der Sprecher offenbar nicht ausführen.

Immerhin sieben Asylsuchende in dem Landkreis konnten sich demnach erfolgreich der Zwangsmaßnahme entziehen. Trotz mehrfach vorgelegter »Angebote« hätten jene Personen sich geweigert, der Aufforderung der Kreisverwaltung Folge zu leisten. Ihnen seien daraufhin als Strafe die ohnehin mickrigen Sozialleistungen gekürzt worden. Infolgedessen hätten Einzelne den Landkreis verlassen oder seien untergetaucht.

Von den 300 volljährigen Schutzsuchenden kommen im Saale-Orla-Kreis etwa 150 für den (Zwangs-)Arbeitseinsatz in Frage, wie dpa berichtete. Wer einen Platz in einem Sprach- oder sogenannten Integrationskurs hat, einer regulären Erwerbsarbeit nachgeht oder wer psychisch bzw. körperlich eingeschränkt ist, wird davon verschont. Die Zuweisung zu einer Tätigkeit erfolge durch die Einschätzung von Sozialarbeitern. Weiteres Kriterium sei die Erreichbarkeit der sogenannten Einsatzstelle.

Seien anfangs die Betroffenen vor allem innerhalb der Gemeinschaftsunterkünfte für Asylsuchende zu einfachen Tätigkeiten verpflichtet worden, nahm laut Landkreissprecher ab dem Frühjahr die Zahl derer zu, die extern eingesetzt wurden – beispielsweise in Sportvereinen, bei Städten und Gemeinden oder privaten Armenspeisungen namens »Tafel«. »In fast allen Fällen handelt es sich dabei um Arbeiten, die sonst mangels personeller Möglichkeiten liegen bleiben oder erst deutlich später durchgeführt werden würden«, erklärte der Sprecher gegenüber dpa.

»Ich kann jeden Landrat nur ermuntern, diesen Schritt zu gehen«, sagte Siegfried Walch (CSU), Landrat in Traunstein, in einem am Montag veröffentlichten Welt-Interview. Seit 2015 nutze er die in Paragraf 5 des Asylbewerberleistungsgesetzes geregelte Möglichkeit, Geflüchtete zu sogenannten Arbeitsgelegenheiten zu verpflichten. Walch habe »sehr gute Erfahrungen gemacht«, »viele Flüchtlinge wollen auch arbeiten«, sagte er dem Sender. Überhaupt: Wenn Schutzsuchende »ihren Beitrag« leisten, sorge das für mehr Akzeptanz in der Restbevölkerung.

Der Traunsteiner Landrat kündigte an, die Regelung flächendeckender anzuwenden, »weil wir wirklich jeden, der bei uns Leistungen bezieht und als Asylbewerber bei uns ist, tatsächlich zu freiwilligen Leistungen verpflichten wollen«. Walch fiel in dem Gespräch noch ein, dass ihm zufolge 45 Prozent der Bürgergeldbeziehenden einen »Flüchtlingshintergrund« hätten. Er sah deshalb »dringenden Handlungsbedarf« gegeben. Schließlich gab der CSU-Politiker dem Publikum noch die Weisheit mit auf den Weg, dass Arbeit demjenigen, der sie vollbringt, »ganz, ganz viel an Selbstwertgefühl« gebe und »mehr Integration« ermögliche. »Das Gemeinwesen lebt davon, dass irgend jemand arbeitet, jemand Leistung erbringt«, wusste Walch. Wissen dürften er und seine Kämmerei auch, dass nicht einmal Gefängnisarbeit so billig zu haben ist.

Den hohen Ausbeutungsgrad der 80-Cent-Tätigkeiten führen auch die Flüchtlingsräte der 16 Bundesländer als Hauptgrund an, warum sie diese Maßnahmen strikt ablehnen. Geflüchtete mit Sanktionen zu belegen, falls sie jene »prekären Arbeitsgelegenheiten ablehnen«, habe »nichts mit fairen Beschäftigungsverhältnissen zu tun, sondern grenzt an Zwangsarbeit«, hatte Dajana Strunz vom sächsischen Flüchtlingsrat in einer Mitteilung der Vereine und der Organisation Pro Asyl vom 29. Februar kritisiert.

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