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Aus: Ausgabe vom 13.08.2024, Seite 6 / Ausland
Ukraine-Krieg

Den richtigen Staat anbeten

»Ukrainisch-Orthodoxe Kirche« kurz vor Verbot, weil sie Moskauer Patriarchat untersteht. Gemeinden sollen angegliedert werden
Von Reinhard Lauterbach
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Die orthodoxe Ostermesse gibt es bald nur noch unter der Ägide Kiews (Tschernigiw, 5.5.2024)

In Deutschland hat es das letztmalig in den 1880er Jahren gegeben, als Reichskanzler Otto von Bismarck seinen »Kulturkampf« gegen die katholische Kirche führte. Die damalige Begründung: Sie sei durch ihre Unterstellung unter den Vatikan angeblich für »ultramontane Einflüsse« offen und nicht so national eingestellt wie die evangelischen Landeskirchen. Die hatten sich im 16. Jahrhundert unter den Schutzschirm ihrer Landesherren begeben, um nicht vom katholisch gebliebenen Kaiser unterdrückt zu werden. Im »Augsburger Religionsfrieden« von 1556 hatten sich evangelische und katholische Reichsstände auf das Prinzip »cuius regio, eius religio« geeinigt – wer regiert, bestimmt auch die Religion der Untertanen.

Alles ziemlich lange her, aber dieses Prinzip feiert jetzt in der Ukraine fröhliche Urständ. Im Kiewer Parlament steht ein Gesetz kurz vor der endgültigen Verabschiedung, das die lange Zeit die Mehrheit der christlichen Gläubigen organisierende »Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats« zu verbieten erlaubt. Die Argumente werden von Nationalisten seit Jahren vorgetragen: Durch ihre Unterstellung unter Moskau untergrabe die Kirche die nationale Selbstfindung der Ukraine. Seit 2014 kommt der Vorwurf hinzu, sie gefährde die Verteidigungsanstrengungen, indem sie etwa Prozessionen für den Frieden organisiere oder darauf bestehe, dass orthodoxe Ukrainer und Russen Glaubensgeschwister seien. Das geht natürlich gar nicht. Dass die russisch-orthodoxe Kirche in Russland eine der ideologischen Hauptstützen des Putinschen Systems ist, sei dabei durchaus zugestanden.

Der Gesetzestext sieht vor, die bestehenden Gemeinden der »Moskauer« Kirche per Ukas (Erlass) der »Orthodoxen Kirche der Ukraine« des Kiewer Patriarchats oder der Orthodoxen Kirche des in Istanbul ansässigen Globalpa­triarchats anzugliedern. Ganz eindeutig ist das nicht, und beide Patriarchate sind gegeneinander auf der Führungsebene in herzlicher Antipathie sich verbunden. Die Kirche des Kiewer Patriarchats war in der Perestroika-Zeit entstanden, als ein hoher Geistlicher seine Karrierehoffnungen innerhalb des Moskauer Patriarchats nicht realisieren konnte und sich daraufhin dem damals aufkommenden ukrainischen Nationalismus als geistlicher Überbauer andiente. In der Folge gab es an Orten, wo Anhänger beider Kirchen lebten, ständig Streitereien darum, wer Kirchen, Klöster und Ländereien nutzen durfte. Gegenseitige Korruptionsvorwürfe belebten die Auseinandersetzung, Exkommunikationen brachten Farbe in einen Streit, der keinerlei theologischen Inhalt hatte.

Die Pläne für ein Verbot werden seit dem »Euromaidan« regelmäßig geschmiedet. 2022 kündigte die Regierung bereits den in den 1990er Jahren geschlossenen Vertrag mit der Moskauer Kirche über die Nutzung des zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Kiewer Höhlenklosters. Statt dessen wies sie die »Orthodoxe Kirche der Ukrai­ne« des Kiewer Patriarchats in das Objekt ein. Die alten Nutzer klagten dagegen, und der Vorsteher des Objekts, Metropolit Pawel, beschwor den Zorn Gottes auf den Präsidenten und seine Familie. Daraufhin wurde er wegen »Anstachelung zum Hass auf religiöser und nationaler Grundlage« vor Gericht gestellt. Der Prozess ist noch im Gang.

Spruchreif waren die Pläne dann im Herbst 2023, verfingen sich aber im Gestrüpp der innerukrainischen Parteipolitik. Teile der Präsidentenfraktion »Diener des Volkes« versuchten Wolodomir Selenskij zu überzeugen, dass ein Verbot der »Moskauer« Kirche nur Wasser auf die Mühlen von Expräsident Petro Poroschenko sein würde. Aber es scheint nichts geholfen zu haben. Am Wochenende kündigte Selenskij in seiner abendlichen Videobotschaft »baldige Maßnahmen zur Stärkung unserer geistlichen Unabhängigkeit« an – für den nichtgläubigen Beobachter ein Widerspruch in sich. Denn »geistliche Unabhängigkeit« heißt in der Praxis: geistliche Orientierung an der ukrainischen Unabhängigkeit, also dem Bestehen des Staates. Gebt endlich dem Kaiser, was des Kaisers ist. Dass Jesus in dem berühmten Zitat ausdrücklich auch fordert, Gott zu geben, was Gottes sei, also die Unabhängigkeit des Glaubens von der politischen Herrschaft postuliert hat – wer weiß das heute noch, und vor allem, wen interessiert es?

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