»Das Risiko wird totgeschwiegen«
Interview: Gitta DüperthalDas Öko-Institut hat vergangene Woche festgestellt, dass die Suche nach einem Endlager für Atommüll bis zum Jahr 2074 dauern könnte. Bis dahin lagert der hochgradig radioaktive Stoff in Zwischenlagern. Welche Risiken sind damit verbunden?
Sobald der Atommüll, also die abgebrannten Brennelemente, in den Castoren ist, ist er sicher. Das zumindest glauben viele Menschen. Die Realität sieht leider anders aus. Der Zerfall der Atomkerne setzt sich auch in den Behältern in gewissem Maß fort, dabei entstehen Hitze und Strahlung, die das Material von Castoren belasten. Daher ist nicht auszuschließen, dass es zu Schäden kommt. Ursprünglich hieß es, die Zwischenlager benötige man »nur« für 40 Jahre. Dieser Zeitplan ist aber nicht zu halten, wie das Gutachten des Öko-Instituts bestätigt hat.
Geht es bei der Endlagersuche darum, einen wenig besiedelten Ort zu finden?
Relevant ist vor allem, dass es sich um ein nach geologischen Kriterien sicheres, von der Biosphäre abgeschlossenes Lager handelt. Das jetzige Verfahren ist nicht geeignet, einen solchen Standort zu identifizieren. Unbedingt lehnen wir zwischenzeitliche Atommülltransporte von einem Ort zum anderen ab. Das Risiko beim erneuten Verpacken und Umlagern ist schlicht zu hoch.
Wie gestaltet sich aktuell die Suche nach einem geeigneten Endlager?
Es gilt den Ort zu finden, an dem das geringste Langzeitrisiko auch für folgende Generationen besteht: für Jahrhunderte, Jahrtausende, sogar bis zu einer Million Jahre. Aus unserer Sicht ist aber das Suchprofil des Verfahrens so angelegt, die Region zu finden, in der es den wenigsten Widerstand gibt. Nach ungefähr zwei Jahren der Suche wurde ein erstes, merkwürdiges Zwischenergebnis bekannt: 54 Prozent der Fläche in Deutschland sind möglicherweise Endlagergebiet. Aufgeführt sind auch Gebiete, über die man in bezug auf die geologischen Faktoren wenig weiß. Das hat einen politischen Effekt: Die meisten Menschen in Deutschland haben das Gefühl, eher nicht betroffen zu sein und lehnen sich zurück.
Aber niemand will gerne Atommüll vor der eigenen Haustür haben.
Die Schizophrenie, Atomkraft nutzen, sich aber um den anfallenden Abfall nicht kümmern zu wollen, hat Tradition. Nur wenige Regionen im Bund befassen sich ernsthaft mit der Problematik. Wenn im nächsten Schritt, etwa in zwei Jahren, eine Eingrenzung auf bis zu zwölf mögliche Regionen für ein Endlager vorgenommen wird, wachen vermutlich viele Menschen auf. Einige werden sagen: Kommt bei uns nicht in Frage.
Die Region um Neckarwestheim und Heilbronn, wo es bereits ein Zwischenlager gibt, zählt auch als möglicher Standort für ein Endlager. Das ist vielen Anwohnern nicht bewusst: frei nach dem Motto: aus den Augen, aus dem Sinn. Paradoxerweise geht es den betroffenen Gemeinden nicht um Sicherheit, sondern um Geld: Die Fläche kann nicht zum Gewerbegebiet ausgebaut werden, daher verlangt man eine Million Euro Schadenersatz pro Jahr für die Zwischenlagerung.
Wie sollte statt dessen bei der Suche für ein Endlager vorgegangen werden?
Es muss untersucht werden, in welchem Zustand sich der Atommüll aktuell befindet. Bezüglich eines möglichen Endlagers muss die geologische Eignung im Vordergrund stehen. In Neckarwestheim sind die Castoren im Tunnel auf wasserdurchlässigem Kalksteinschutt gelagert, wo sich Hohlräume bilden. Damit das Lager nicht nass wird, wird Grundwasser abgepumpt – neues drängt nach, was die Höhlenbildung weiter forciert. Man müsste eine Schutzmauer einziehen. Würde das Lager verschüttet, dann könnten Castoren überhitzen, Abwärme könnte sich stauen. Es könnte zur kritischen Kettenreaktion bei Brennelementen kommen. Dieses Risiko wird totgeschwiegen.
Das alles klingt nach kostspieligen Verfahren.
Allerdings. Kosten und Risiken hat die staatliche Hand den Atomkonzernen zum Spottpreis abgekauft. Man hat so den Steuerzahler um mindestens 100 Milliarden Euro geschröpft. Das ist Betrug am Gemeinwohl.
Franz Wagner ist Sprecher des Bundes der Bürgerinitiativen mittlerer Neckar e. V. (BBMN)
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