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Aus: Ausgabe vom 13.08.2024, Seite 10 / Feuilleton
Nachruf

Das gute Leben

Zum Tod des österreichischen Bauunternehmers und Medienlieblings Richard Lugner
Von Peter Merg
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»Ich bin der Kasperl, und der Kasperl gewinnt immer«: Richard Lugner

Blickt man in österreichische Blätter, scheint es so, als wären plötzlich die Alpen verschwunden: Denn die Medienpersönlichkeit Richard »Mörtel« Lugner ist tot. International bekannt war der als Bauunternehmer und Einkaufszentrumsbetreiber zu einigem Reichtum gelangte Wiener vor allem für seine Auftritte auf dem Wiener Opernball. Zu diesem lud er für fürstliches Salär in jedem Jahr eine andere prominente Begleitung ein, zumeist eine weibliche. Den Anfang machte 1992 (Überraschung!): Harry Belafonte. Es folgten schillernde Figuren von Sophia Loren über Grace Jones und Pamela Anderson bis zu Dieter Bohlen, Kim Kardashian sowie zuletzt Priscilla Presley. Das gefiel der Wiener High Society nicht immer (Grace Jones hatte Sex! Nicht mit Lugner), sicherte aber mediale Aufmerksamkeit.

Die genoss der ursprünglich schüchterne Lugner mit nie nachlassender Freude. Freunde des österreichischen Privatfernsehens konnten etwa über zwei Dekaden quasi tagesaktuell erfahren, mit wem Lugner gerade stritt, mit welcher deutlich jüngeren Frau der sechsmal verheiratete »Society-Löwe« anbandelte, oder welche Delikatessen er am liebsten mit Ketchup schändete (Austern! Noch eine Vorliebe, die er mit dem früheren Rapid-Wien-Trainer Lothar Matthäus teilte). Oder wie der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Montag auf X schrieb: »Richard Lugner blieb sich unbekümmert treu in seiner Vorstellung vom guten Leben.« Lugner hatte es selbst am schönsten geklaut: »Meine Leidenschaft ist heißer noch wie Gulaschsaft«, zitierte er vor den Kameras einen Operettenschlager.

Reich war Lugner damit geworden, dass er sich im Bauboom der 60er Jahre auf Renovierungen und Kleinbaustellen spezialisiert hatte. Spätestens als seine Firma im Auftrag des saudi-arabischen Königs Ende der 70er in Wien die erste österreichische Moschee errichtete, war er ein gemachter Mann. Ende der 80er renovierte sie auch den jüdischen Großtempel. 1990 dann Lugners zweiter Coup: Am Wiener Gürtel eröffnete er die »Lugner City«, ein riesiges Einkaufszentrum auf rund 25.000 Quadratmetern. Sein Rezept: Er ging in andere Malls, schaute, welche Geschäfte immer voll waren, und schloss selbst Verträge mit den Firmen. Die Kalkulation ging auf.

Immerhin 9,91 Prozent der Wähler wollten Lugner 1998 gerne als Bundespräsidenten. Als er es 2016 trotz Prostatakrebs noch einmal versuchte – Motto »Ich bin der Kasperl, und der Kasperl gewinnt immer« –, waren es noch immer 2,26 Prozent. Doch Lugner sah sich nie als Trump, sein politisches Engagement war eher ein weiterer publicityträchtiger Spleen des geschäftstüchtigen Unternehmers, der auch schon einmal FPÖ-Chef Herbert Kickl wünscht, dass ihn die Ukrainer an die Wand stellen – weil er zu wenig gegen illegale Zuwanderung tue. Die Alpen stehen noch. Aber etwas langweiliger dürfte es in Österreich ohne Richard Lugner doch sein. Am Montag ist er im Alter von 91 Jahren in Wien gestorben.

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