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Aus: Ausgabe vom 14.08.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Klimawandel

»An der Wurzel packen«

Auch der August bringt weitere Temperaturrekorde seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Folgen sind verheerend
Von Wolfgang Pomrehn
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Flächenbrände infolge von Hitze (Penteli bei Athen, 13.8.2024)

Hunderte Millionen Menschen waren im Juli von extremer Hitze betroffen, so die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) in ihrer neuesten Mitteilung. Im weltweiten Mittel waren einige Julitage die heißesten je registrierten. Auch Anfang August wurden nach den Daten des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersagen (EZMW) neue Tagesrekorde aufgestellt. Die alten Rekorde stammen meist aus dem letzten Jahr.

»In mindestens zehn Ländern wurden an mehr als einer Station Temperaturen von über 50 Grad gemessen«, berichtete WMO-Generalsekretärin Celeste Saulo. Im kalifornischen Tal des Todes betrug die über den ganzen Monat, also Tag und Nacht, gemittelte Temperatur 42,5 Grad Celsius, was ein neuer Weltrekord sein dürfte.

Das Jahr ist auf dem besten Weg, zum heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen zu werden, heißt es von Vertretern des EU-Klimabeobachtungsprogramms Copernicus. Dabei wurde der bisherige Rekord erst im vergangenen Jahr aufgestellt, und angesichts der natürlichen Schwankungen im Klimasystem aus Ozeanen und Atmosphäre ist es alles andere als selbstverständlich, dass die Temperaturen im Zuge der Erwärmung von Jahr zu Jahr steigen.

Der Juli war laut Copernicus im globalen Durchschnitt um einige Hundertstel Grad Celsius kühler als der Juli 2023, womit eine lange Serie ständig neuer Monatsrekorde endet. Während Nordeuropa überdurchschnittliche Regenfälle zu verzeichnen hatte und im Baltikum extreme Niederschläge zu Überschwemmungen führten, leiden andere Teile des Kontinents unter großer Trockenheit. Betroffen ist ein breiter Gürtel von Westrussland über den Balkan bis nach Italien, wo es vielfach Warnungen vor Dürreschäden in der Landwirtschaft gibt.

Die Ausdehnung des Meereises in der Antarktis lag im Juli elf Prozent unter dem Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2020, in der Arktis betrug das Minus sieben Prozent. Allerdings geht dort das Eis im Sommer bereits seit mehreren Jahrzehnten immer weiter zurück, so dass der Durchschnitt der letzten 30 Jahre nicht mehr als klimatischer Normalzustand angesehen werden kann.

Mitte August sind die Festlandsküsten Sibiriens und Nordamerikas inzwischen bis auf kleine Abschnitte eisfrei, und es sieht ganz danach aus, als könnte sich in diesem Jahr sowohl die Nordost- als auch die Nordwestpassage vom Atlantik in den Pazifik öffnen. Das Eis wird erfahrungsgemäß noch bis etwa Mitte September weiter zurückgehen.

Derweil setzen die hohen Temperaturen vielen zu. »Die Erde wird heißer und gefährlicher für alle und überall«, kommentierte UN-Generalsekretär António Guterres die neuesten Daten. Extreme Hitze fordert immer wieder zahlreiche Todesopfer. Aus Griechenland gab es schon zu Beginn des Sommers, Mitte Juni, Berichte über gestorbene Touristen bei Temperaturen über 40 Grad. Ebenfalls Mitte Juni kamen bei der Pilgerfahrt in Mekka über 900 Menschen ums Leben. Dabei werden die wenigsten Hitzeopfer als solche gemeldet, da die Todesursache meist den durch die Hitze verursachten Problemen wie zum Beispiel Kreislaufversagen oder Nierenschäden zugeschrieben wird.

In den Statistiken über Sterbefälle kann man jedoch auch immer wieder sehen, wie viele Menschen durch Dehydrierung, Hitzschlag oder andere hitzebedingte Funktionsstörungen des Körpers ihr Leben verlieren. Im vergangenen Jahr waren es in Europa 47.000, wie aus einer Anfang der Woche im Wissenschaftsmagazin Nature Medicine veröffentlichten Studie hervorgeht. Eine andere im vergangenen Jahr im Fachblatt Nature erschienene Untersuchung sieht die Zahl der Todesfälle zwischen Atlantik und Ural für 2022 sogar bei 61.000. Am schlimmsten waren seinerzeit Italien, Griechenland, Spanien und Guterres’ Heimatland Portugal betroffen. Die Autorinnen und Autoren der neueren Studie schätzen, dass ohne vorbeugende Maßnahmen die Zahl der Hitzeopfer im vergangenen Jahr 80 Prozent höher gelegen hätte.

Entsprechend fordert der UN-Chef Guterres den Aufbau besserer Warnsysteme und mehr Vorbeugemaßnahmen, was auch von der WMO vorangetrieben wird. Diese hat kürzlich in einem gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen Bericht geschätzt, dass der Aufbau entsprechender Warnsysteme in 57 Ländern jährlich fast 100.000 Menschenleben retten könnte. Aber Hitzeschutz ist auch eine Klassenfrage. Viele Menschen können sich keine Klimaanlage leisten, andere haben kaum eine andere Wahl, als auch bei großer Hitze ihren Lohn durch Arbeiten im Freien zu verdienen (siehe unten).

Und vor allem: »Anpassung an den Klimawandel reicht nicht. Wir müssen das Problem an der Wurzel packen und endlich ernst mit der Minderung der sich auf Rekordniveau bewegenden Treibhausgasemissionen machen«, so WMO-Generalsekretärin Saulo. Das gilt sicherlich um so mehr, als Hitzewellen nur eines der zahlreichen Probleme sind, die der Klimawandel mit sich bringt. Ein anderes wichtiges Problemfeld ist die Ernährung der Weltbevölkerung.

Da sind zum Beispiel die Dürren und extremen Niederschläge, die gleichermaßen die Ernten bedrohen. Schon jetzt sind die Weltmärkte für viele Grundnahrungsmittel so eng, dass die Preise in die Höhe klettern. Nach den Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO der Vereinten Nationen sind schon jetzt Getreide, Zucker, Speiseöl und Milchprodukte 15 bis 35 Prozent teurer als im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2016, die bereits einige sehr kräftige Preisanstiege gesehen hatten. Oder die Fischerei, die nicht nur durch Überfischung, sondern auch durch den Verlust von Korallenriffen, die Versauerung der Meere aufgrund der Aufnahme von CO2 und durch sinkenden Sauerstoffgehalt im Folge der Erwärmung der Meere bedroht ist.

Der Juli war mit 16,91 Grad Celsius der zweitwärmste Juli seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Er unterbot den Juli 2023 nur um vier Hundertstel Grad, was im Bereich der Messungenauigkeit liegt und auf jeden Fall noch deutlichen Abstand zu den bisherigen Rekordhaltern hat. Diese Analyse haben Wissenschaftler des EU-Klimaprogramms Copernicus auf Grundlage der mehrmals täglich für die Wettervorhersage global eingesammelten und aufbereiteten Daten erarbeitet. Die ersten sieben Monate des Jahres waren 0,27 Grad Celsius wärmer als die im Vergleichszeitraum von 2023. Das war allerdings zugleich das bisher wärmste Jahr in der Geschichte der Wetteraufzeichnungen. Der Rest des Jahres 2024 müsste entsprechend im Durchschnitt 0,23 Grad Celsius kühler als die ersten sieben Monate werden. Ein derartiger globaler Temperaturrückgang wäre äußerst ungewöhnlich, weshalb 2024 wahrscheinlich einen neuen Temperaturrekord aufstellen wird.

Der globale Durchschnitt der Temperatur der vergangenen zwölf Monate (August 2023 bis Juli 2024) lag 1,64 Grad Celsius über dem Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1900. Da aus früherer Zeit keine ausreichenden Daten vorliegen und die Emissionen von Treibhausgasen noch recht gering waren, wird diese Periode meist als Referenz für den vorindustriellen Zustand des Klimasystems genutzt. In der Pariser Klimavereinbarung von 2015 hatten sich die Staaten darauf geeinigt, »Anstrengungen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad Ceslsius über dem vorindustriellen Niveau« zu unternehmen. Dieser Grenzwert scheint in den vergangenen Monaten erstmalig gerissen worden zu sein, allerdings: Die Aussage bezieht sich auf einen längerfristigen Mittelwert, der zwar nicht genannt wird, aber üblicherweise bei 30 Jahren liegt. Im Augenblick wird es erst einmal wieder ein wenig kühler, aber wenn es so weitergeht, wird dieser langfristige Durchschnitt in den 2030er Jahren erreicht. (wop)

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  • Leserbrief von Patrick Giewolies aus Frankleben (16. August 2024 um 20:12 Uhr)
    Liebes junge-Welt-Kollektiv, grundsätzlich schätze ich die Artikel von Wolfgang Pomrehn sehr. Ferner ist mir bewusst, dass natur- und ingenieurwissenschaftliches Fachwissen im Journalismus grundsätzlich und in einer politischen Tageszeitung insbesondere rar gesät ist. Will man als Publikationsorgan in wissenschaftlich-technischen Bereichen ernst genommen werden, müssen Fachbegriffe korrekt verwandt werden, sonst setzt man sich der Lächerlichkeit aus, auch wenn die Inhalte vom Sinn her korrekt sind. DEHYDRIERUNG bezeichnet die Abspaltung von WASSERSTOFF (Hydrogen) von Kohlenwasserstoffen bei hohen Temperaturen. Es ist ein Begriff der chemischen Industrie. Menschen, die an Wassermangel leiden, sind NICHT dehydriert, sondern DEHYDRATISIERT, bzw. leiden an DEHYDRATATION. Dies sind die medizinisch korrekten Begriffe. Ich wünsche mir, dass sich ein Organ, dass sich dem Marxismus verschreibt, welcher ebenfalls eine Wissenschaft ist, sich bemüht, wissenschaftliche Begriffe korrekt anzuwenden. Mit solidarischem Gruß Patrick Giewolies

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