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Aus: Ausgabe vom 14.08.2024, Seite 5 / Inland
Maritime Wirtschaft

Alte Kutter, leere Netze

Norddeutsche Fischereikonferenz unterzeichnet »Zukunftspakt«. Landesregierungen bleiben fern
Von Oliver Rast
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Fangquote machen: Ausfahrt im Duo in der Deutschen Bucht nahe der Elbmündung gen Nordsee

Zugegeben, ein bisschen Nos­talgie beschleicht den Autor. Wobei? Beim Zustand hiesiger Küstenfischerei in der Nordsee. Die ist bedroht, Fischer bangen um ihre Existenz. Schon jahrelang. Nun hat ein Bündnis aus Kommunen, Tourismusbranche, regionaler Wirtschaft und Interessenverbänden einen »Zukunftspakt Küstenfischerei 2050« unterzeichnet, am Dienstag in Cuxhaven bei der »1. Norddeutschen Fischereikonferenz«. Details wurden bis jW-Redaktionsschluss nicht bekannt. Einiges hingegen sickerte vorab durch.

Das etwa: Ein Grund für die Zusammenkunft sind Pläne der EU. Im Rahmen von »Natura 2000« werden seit 1992 gefährdete oder typische Lebensräume und Arten geschützt. Auch küstennahe Areale der Nordsee. Demnach sollen Netze, die den Meeresgrund berühren, nicht mehr in Schutzgebieten benutzt werden. Bis spätestens 2030. Das betrifft Krabbenfischer besonders. Die verlangen ein »verbrieftes Fischereirecht« im Küstenmeer, sagte Lorenz Marckwardt am Dienstag im jW-Gespräch. Fanggebiete sollten so erhalten bleiben, zumal Fangmethoden immer schonender geworden seien, betonte der Vorsitzende des Landesfischereiverbands Schleswig-Holstein. Mehr noch: Die Küstenfischerei sei die älteste Form der Meeresnutzung, eh Krabbenfischerei in der Nordsee. »Also ein Kulturerbe, das wir bewahren müssen«, so Marckwardt weiter. Auch gegen den Widerstand diverser Nichtregierungsorganisationen (NGOs).

Kim Cornelius Detloff widerspricht. Denn das Wattenmeer der Nordsee stehe am Rande des Kollapses, sagte der Leiter Meeresschutz beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu) gleichentags gegenüber jW. Ein Faktor: Überfischung. Deshalb müsste die Hälfte des Gebiets »unter strengen Schutz« gestellt werden. Mindestens. Übersetzt: keine industrielle, lebensraumverändernde Nutzung mehr. Marckwardt sieht darin faktisch ein Berufsverbot für seine Berufskollegen. Bereits im Januar hatten branchenübergreifend Interessenvertreter ostfriesischer Küstenorte Alarm geschlagen – und eine Art Vorfassung des Pakts vom Dienstag angeleiert, der nun offenbar erweitert worden ist. Berichten zufolge wollen Landkreise und Landräte die Vereinbarung unterstützen. Nach Informationen dieser Zeitungen etwa jene von Friesland, Dithmarschen und Cuxhaven.

Und die Landeskabinette Niedersachsens und Schleswig-Holsteins? Weder im Kalender der zuständigen niedersächsischen Ministerin Miriam Staudte (Bündnis 90/Die Grünen), noch in dem ihres schleswig-holsteinischen Ressortkollegen Werner Schwarz (CDU) war der Termin zum »Zukunftspakt« vermerkt, erfuhr jW vormittags auf Nachfragen. Vergessen? Nein. Im »Pakt« seien lokale Akteure des norddeutschen Küstenraums, nicht das Fischereiministerium aus Hannover, sagte eine Sprecherin Staudtes. Ähnlich die Reaktion aus Kiel. Zumal bereits »verschiedene Dialogprozesse laufen, um Perspektiven für eine zukunftsfähige und nachhaltige Fischerei zu erarbeiten«, ergänzte der Pressestab von Minister Schwarz. Damit dürfte die »Zukunftskommission Fischerei« gemeint sein, die Ende März auf Initiative des Bundeslandwirtschaftsministeriums zu ihrer konstituierenden Sitzung in Bremerhaven gastiert hatte. Bis zum ersten Quartal 2025 sollen erste Maßnahmenbündel präsentiert werden.

Zeit wird’s, findet Marckwardt. Insgesamt seien im Jahr 2023 nur noch 153 Kutter in Fahrt gewesen – 68 in der Ostsee und 85 in der Nordsee, weiß der Fischermeister aus Eckernförde. Und: »Ohne Umsätze aufgrund fehlender Frischfischanlandungen, aber dennoch laufenden Kosten wird es immer schwieriger, die Infrastruktur aufrechtzuerhalten.«

Das stimmt, und bricht alles zusammen, bleiben nur noch nostalgische Kutterausflüge ins Literarische: »Unheimlich schwebt der nasse Riesensack auf den beiden Kranhaken hoch in der Luft. Aus seinen Maschen schieben sich Fischköpfe, Kiemen sind aufgespießt, runde Augen glotzen, Krebsscheren greifen ins Leere, Flossen flattern, heraus ragen Zacken von Seesternen, Muscheln, Strickreste, Flaschenhälse, Knochen, Tang, Kohle, Organisches und Unorganisches.« Na, erkannt? Richtig, Egon Erwin Kisch in »Schollenjagd und Haifischfang«. 1926 war das.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (13. August 2024 um 22:52 Uhr)
    Wenn ich hier in Nordfriesland ein Krabbenbrot bestelle, die Krabben zwar irgendwo im Watt gefangen, aber in Marokko gepult wurden und nach Konservierungsstoff schmecken: Dann vielleicht doch lieber ein argentinisches Rindersteak?

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