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Aus: Ausgabe vom 14.08.2024, Seite 6 / Ausland
Iran

Erster Abgang im Iran

Vizepräsident kehrt an Uni zurück und kritisiert Regierungsliste von neuem Staatschef. Der muss mit weiterem Gegenwind aus Parlament rechnen
Von Knut Mellenthin
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Gewählt und gleich mit Problemen konfrontiert: Massud Peseschkian auf einem Wahlplakat in Teheran (26.6.2024)

Irans Präsident Massud Peseschkian, klarer Sieger der Stichwahl am 5. Juli, hat dem Parlament am Sonntag seine Kabinettsliste übergeben, die 19 Ministerämter aufweist. Schon einen Tag später folgte die erste öffentliche Regierungskrise: Dschawad Sarif, den Peseschkian elf Tage vorher zu einem seiner Stellvertreter mit dem Aufgabenbereich »Strategische Angelegenheiten« ernannt hatte, teilte auf der Internetplattform X mit, dass er in der vergangenen Woche seinen Rücktritt erklärt habe. Er nannte mehrere Gründe für diesen Schritt, unter denen er besonders seine Kritik an der Regierungsliste hervorhob.

Sarif, Außenminister in den Jahren 2013 bis 2021, hat eine herausragende Rolle in Peseschkians Wahlkampf gespielt und war ständig an seiner Seite zu sehen. Auch auf die Zusammensetzung des künftigen Kabinetts versuchte er im Rahmen eines dafür gebildeten Ausschusses maßgeblichen Einfluss zu nehmen. Er schäme sich, führte er am Montag in der Begründung seines Rücktritts aus, dass es ihm nicht gelungen sei, »auf anständige Art« die »Expertenmeinung« des Ausschusses zur Geltung zu bringen und »die Beteiligung von Frauen, Jugend und ethnischen Gruppen« an der Regierung zu erreichen, wie er es vor der Wahl versprochen hatte. Auf der Liste befindet sich nur eine Frau und kein Repräsentant der sunnitischen Minderheit. Das Durchschnittsalter der Nominierten bleibt mit fast 60 hinter den Erwartungen auf eine deutliche Verjüngung der Regierung zurück.

Sarif legte dennoch Wert auf die Aussage, dass sein Rücktritt »kein Zeichen des Bedauerns oder der Enttäuschung über den geschätzten Dr. Peseschkian oder der Opposition gegen eine realistische Haltung« sei, sondern »Zweifel an meiner Nützlichkeit als Vizepräsident« ausdrücke. Der ehemalige Außenminister unter dem »gemäßigten« Präsidenten Hassan Rohani wird in breiten Kreisen der iranischen Politik für das Wiener Atomabkommen von 2015 verantwortlich gemacht. Nach dem Ausstieg der USA aus allen Vereinbarungen im Mai 2018 ist sachlich schwer zu bestreiten, dass Iran durch die nur scheinbare Einigung in der österreichischen Hauptstadt mehr Nachteile als Vorteile hat. Sarif, der seine Rückkehr in den akademischen Lehrbetrieb angekündigt hat, wird vermutlich trotzdem im engsten Kreis um Peseschkian bleiben und den »Konservativen«, die eine riesige Mehrheit im Parlament haben, ein Angriffsziel bieten.

Dem neuen Präsidenten stehen ohnehin harte Auseinandersetzungen mit den Abgeordneten über seine Kabinettsliste bevor. Zunächst werden sie die Biographien aller vorgeschlagenen Minister gründlich prüfen, dann müssen diese sich verhörartigen Fragen stellen und innerhalb von zwei Wochen kommt es zur Abstimmung. Das iranische Parlament hat nur wenig praktische Rechte, aber unter diesen steht die Möglichkeit, Ministern die Bestätigung zu verweigern, besonders hoch im Kurs.

Mit Widerstand muss unter anderem der Kandidat des Präsidenten für das Amt des Wirtschaftsministers, Abdolnaser Hemmati, rechnen. Als Gouverneur der Zentralbank in den Jahren 2018 bis 2021 war Hemmati als scharfer Kritiker der staatlichen Wirtschaftspolitik aufgetreten. 2021 hatte er mit Unterstützung einiger »Reformer« erfolglos für das Präsidentenamt kandidiert. Seit Peseschkians Wahlsieg hat Hemmati mehrmals dessen Argumentationslinie unterstützt, dass Iran seiner langjährigen Wirtschaftskrise, mit hoher Arbeitslosigkeit und einer aberwitzigen Inflationsrate, nur entkommen kann, wenn es sich mit den USA und dem EU-Trio Deutschland, Frankreich und Großbritannien verständigt und eine Einschränkung der Sanktionen erreicht.

Auf der vom neuen Präsidenten beim Parlament eingereichten Kabinettsliste stehen viele Politiker, die schon in der Amtszeit von Rohani (2013–2021) leitende Positionen im Regierungsapparat hatten. Das macht sie fast automatisch zu Angriffszielen der »Konservativen«. Andererseits hat Peseschkian aber auch mehrere Regierungsmitglieder seines »konservativen« Vorgängers Ebrahim Raisi nominiert, um Kompromisse mit der Parlamentsmehrheit zu erleichtern.

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