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Aus: Ausgabe vom 14.08.2024, Seite 8 / Inland
Beobachtung der AfD

»Behördliche Einschätzung zeigt kaum Wirkung«

Bayern: Inlandsgeheimdienst beobachtet AfD als »rechtsextremen Verdachtsfall«. Ein Gespräch mit Birgit Mair
Interview: Hendrik Pachinger
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Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei der Vorstellung des BayLfV-Halbjahresberichts am Montag (München)

In seinem Urteil vom 1. Juli 2024 hat das Verwaltungsgericht München entschieden, dass der bayerische Inlandsgeheimdienst die AfD in Bayern als »rechtsextremen Verdachtsfall« führen und somit beobachten darf. Welchen Einfluss könnte die Entscheidung auf die mediale Präsenz der Partei haben?

Es ist zu begrüßen, dass die AfD nun auch in Bayern vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Diese Entscheidung wird vermutlich vor allem für Menschen relevant sein, die im öffentlichen Dienst arbeiten. So muss ein für die AfD aktiver Rektor einer Schule nun damit rechnen, dass seine Aktivitäten staatlicherseits registriert werden. Und fortschrittliche Lehrkräfte dürften es leichter haben, vor der AfD zu warnen. Was die Folgen dieser Entscheidung für die mediale Präsenz dieser Partei in den Medien anbelangt, so bleibt zu hoffen, dass sie nicht mehr über jedes Opferinszenierungsstöckchen springen, das ihnen die AfD hinschmeißt.

Ist die Schützenhilfe durch den »VS« für den Kampf gegen die AfD nicht auf lange Sicht ein Problem, da sie die Bewertung von Parteien dem Geheimdienst überlässt?

Der Verfassungsschutz hat im Zusammenhang mit dem NSU-Terror viel an Glaubwürdigkeit verloren. Die Tatsache, dass nach dem Auffliegen des NSU ausgerechnet Hans-Georg Maaßen jahrelang die Leitung dieses Amtes übernahm, ist schlichtweg ein Skandal. Unter solchen Bedingungen ist es nicht verwunderlich, dass die Beobachtung und Einstufung der AfD als »rechtsextrem« nur schleppend voranging.

Die AfD verweilt seit Monaten bei hohen Zustimmungswerten. Inwiefern wird die Geheimdiensteinschätzung in Bayern AfD-Anhänger und potentielle Wähler beeindrucken?

Wenn wir in andere Bundesländer schauen, stellen wir leider fest, dass entsprechende behördliche Einschätzungen dort bis jetzt kaum Wirkung gezeigt haben. Ob es in Bayern anders läuft, bleibt zumindest zu hoffen. Entscheidend dürfte das Aufrechterhalten der sogenannten Brandmauer gegen die AfD sein, speziell auch auf kommunaler Ebene. Jede Kooperation mit der extrem rechten Partei stärkt rechte Hetzer und Gewalttäter auf allen Ebenen.

Die Ergebnisse der vergangenen Landtagswahl in Bayern waren für den hiesigen Landesverband erfreulich, blieben aber hinter den Erwartungen zurück. Wo ist die Partei besonders stark?

Einerseits versuchten Teile der Freien Wähler um deren Chef Hubert Aiwanger und die CSU mit rechtspopulistischen Tönen der AfD Stimmen abzujagen. Andererseits gibt es seit vielen Jahren kontinuierlichen Widerstand gegen öffentliche Auftritte der AfD, gegen deren Hetzerei in den Parlamenten, und dies auch in eher ländlichen Regionen. Eine »Landnahme« wie in einigen ostdeutschen Regionen ist der AfD bisher nicht gelungen, auch nicht im Osten Bayerns, wo die Partei im niederbayerischen Landkreis Regen bei der Europawahl mit 20,2 Prozent ihr bestes Ergebnis erzielte – ein Landkreis, in dem die Bevölkerungszahl stetig sinkt, der Anteil der über 60jährigen steigt. In wenigen Jahren werden dort 100 Erwerbsfähige fast 53 Rentnern gegenüberstehen. Die wenigsten der über 65jährigen sind migrantisch. Ohnehin hat der Landkreis mit etwa acht Prozent einen im bayerischen Vergleich geringen Anteil migrantischer Bevölkerung.

Welche Fraktion ist im Landesverband aktuell die dominierende?

Die Mehrheit der AfD-Fraktion im bayerischen Landtag steht klar auf seiten der völkischen Nationalisten rund um die Fraktionsvorsitzende Katrin Ebner-Steiner. Die Politikerin aus Niederbayern ist eine Hardlinerin, die auch mal im Dirndl auftritt und leider gut reden kann. Gemeinsam mit dem Faschisten Björn Höcke nahm sie im Mai 2019 im mittelfränkischen Greding an einem Treffen des extrem rechten »Flügels« teil. Einige AfD-Funktionäre, die heute als Landtagsabgeordnete in Bayern fungieren, sangen damals bereits die verpönte erste Strophe des »Lieds der Deutschen« und träumten von einem Großdeutschland.

Birgit Mair ist Referentin beim Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung e. V. (ISFBB)

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  • Leserbrief von C. Hoffmann (14. August 2024 um 15:30 Uhr)
    Wenn Politiker und Politikerinnen in Bayern völkisch-national sind, wenn sie mal in Lederhose und Janker bzw. Dirndl auftreten, dann sind in Bayern auch SPD und Grüne völkisch-national, CSU und FW sowieso. Ich will jetzt nicht bewerten, was SPD und Grüne sind, aber völkisch-national wohl eher nicht. Wenn es progressiv ist, die Gesinnungsschnüffelei des Inlandsgeheimdienstes hilfreich zu finden, überlege ich mir, ob progressiv nicht genauso eine Wandlung ins Negative erlebt wie Solidarität, wenn sie von Ampelvertretern beschworen wird, oder Reform, wenn ein Gesundheits- oder Arbeitsminister das Wort benutzt. Der Landnahme durch die AfD steht in Bayern definitiv die CSU im Weg, die den konservativen Rand, der woanders u. a. von der CDU abwandert (nicht nur, aber auch), an sich bindet. Ähnliches gelingt auch den Freien Wählern. Landeskunde scheint nicht die Stärke von Frau Mair zu sein. Ottfried Fischer, aus Niederbayern stammend, hat in einem seiner Soloprogramme mal gesagt, dass man in seiner Kindheit einer Schaufel das Schild CSU umhängen konnte und die Schaufel wurde gewählt. Kabarettistisch überspitzt, aber sicher eines nicht: falsch.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (14. August 2024 um 07:23 Uhr)
    »Fortschrittliche« Kräfte setzen auf den VS? Echt? Wie armselig...

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