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Aus: Ausgabe vom 14.08.2024, Seite 8 / Ansichten

Ignoranz plus Hohn

SPD-Spitze für Raketenstationierung
Von Arnold Schölzel
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Auf die SPD-Führung ist Verlass. Ihre warme Empfehlung für die Stationierung der über Moskau hinaus reichenden US-Waffen in der Bundesrepublik steht in einer 110 Jahre zurückreichenden Tradition. Bevor der Kaiser den Ersten Weltkrieg anzettelte, hatten SPD-Strippenzieher mit Regierung und Militär vorab Unterstützung durch »Burgfrieden« im Innern ausgekungelt. Die bis dahin von der Partei organisierten Kundgebungen gegen den drohenden Krieg mit Hunderttausenden Teilnehmern wurden gestoppt. Kundgebungen entfielen 1999 auch deswegen, weil SPD und Bündnis 90/Die Grünen den ersten deutschen Angriffskrieg seit 1945 bereits selbst organisierten. Eine CDU/CSU/FDP-Regierung hätte wahrscheinlich Probleme mit dem Protest gehabt, den beide Parteien, wären sie Opposition, vorgetragen hätten. Die FAZ bedankte sich jedenfalls bei ihnen, weil sie bürgerkriegsähnliche Zustände während des Jugoslawienkrieges verhindert hätten. Im Jahr 2024 fördern Gewerkschaften und Sozialdemokraten schon seit zwei Jahren umfassend die deutsche Kriegstüchtigkeit und Bündnis 90/Die Grünen lässt sich in uneingeschränktem antirussischen Bellizismus von niemandem übertreffen. Jüngsten Umfragen nach repräsentieren beide Regierungsparteien damit ungefähr die Hälfte der westdeutschen Bevölkerung (insgesamt 68 Millionen Menschen), im Osten (insgesamt 12,6 Millionen Einwohner) sollen sich 74 Prozent gegen die Stationierung aussprechen. Die SPD – eine weitgehend westdeutsche Regionalpartei?

Eine Erklärung wie die des SPD-Präsidiums vom Montag kommt jedenfalls gut zwei Wochen vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen politischem Selbstmord dort gleich. Das stört im geschäftsführenden Parteivorstand der Sozialdemokraten offenbar niemanden. Der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer spricht sich seit langem gegen Waffenhilfe für die Ukraine aus und verlangt ein Referendum zur Stationierung der US-Raketen. Der Bundes-CDU, die das völlig anders sieht, macht das nichts aus. In der SPD werden Kritiker wie Rolf Mützenich, Ralf Stegner, der frühere Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans oder frühere Außenpolitiker ignoriert. Das Papier der parteinahen Friedrich-Ebert-Stiftung, in dem eine »Fähigkeitslücke« gegenüber Russland bestritten wird – keiner Erwähnung wert. Das Neue der neuen Waffen ist demnach: Sie machen Überraschungsangriffe eher möglich. In seiner Stellungnahme schreibt das Parteipräsidium von »weiterhin« und »Dialog« – der Ignoranz folgt Hohn.

Millionen früherer SPD-Wähler blieben bei den EU-Wahlen am 9. Juni entweder zu Hause oder stimmten für andere, insbesondere das BSW. Der Trend dürfte sich verstärken. Mit der Erklärung vom Montag steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die SPD in Thüringen und Sachsen am 1. September nur mit Mühe über die Fünfprozenthürde kommt. Dem Präsidium scheint der Status als »Sonstige« dort zu reichen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (19. August 2024 um 10:10 Uhr)
    »Millionen früherer SPD-Wähler blieben bei den EU-Wahlen am 9. Juni entweder zu Hause oder stimmten für andere, insbesondere das BSW.« Verständlich, dass viele Kriegsgegner ihre Hoffnung auf das BSW setzen. Dass die Wagenknecht-Partei auf Verhandlungen statt auf Waffenlieferungen an die Ukraine setzt, ist aber auch der einzige Grund, warum man sie wählen könnte, nachdem sie in Sachen Migration der AfD Konkurrenz macht und wirtschaftspolitisch schon längst auf CDU-Kurs eingeschwenkt ist. Aber selbst das Bekenntnis zum Frieden ist nicht automatisch ein Qualitätsmerkmal, wenn man sieht, welch dubiose Gestalten sich als Russlandfreunde ausgeben. Von der AfD über Elsässer bis zu ehemaligen Bundeswehrgenerälen. Die lehnen einen Feldzug gegen Russland nicht grundsätzlich ab, nur eben nicht mit den USA, sondern auf eigene, deutsche oder »europäische« Rechnung. Harald Kujat, Dauergast in einschlägigen Portalen und bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender des Rüstungsunternehmens Heckler & Koch, auf einem Vortrag in Berlin im Februar 2024: »Es ist schon bemerkenswert, finde ich, dass Politiker mit der Vermutung eines angeblich bevorstehenden russischen Angriffskrieges die Forderung nach einer deutlichen Erhöhung der Verteidigungsausgaben zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit begründen. Mehr als ein Jahrzehnt haben die deutschen Politiker den Verfassungsbruch hingenommen, der 2011 durch die sogenannte Neuausrichtung der Bundeswehr entstanden ist. Um es ganz deutlich zu sagen: Wir brauchen keine, im übrigens auch gefährliche Kriegshysterie, um zu begründen, dass die Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung fähig (das ›fähig‹ extra laut betont) sein muss.« Hier plaudert er so nebenbei aus, dass der Ukraine-Krieg nicht der Grund, sondern nur der hoch willkommene Anlass für die milliardenschwere Aufrüstung der Bundeswehr ist. Auf dem Weg zum dritten Anlauf zur Weltmacht.
  • Leserbrief von N. Schreiber aus München (15. August 2024 um 18:58 Uhr)
    So skeptisch ich aufgrund einiger mehr als zweifelhaften Äußerungen der Namensgeberin vom BSW auch bin: In der Friedensfrage scheint (!) auf das Bündnis Verlass. Meiner Vermutung nach besonders aufgrund der anderen, hochkarätigen und hoch engagierten, führenden Mitglieder neben Wagenknecht. Hoffentlich wird mensch hier nicht wieder enttäuscht, wenn es dann nach der Wahl um die Einlösung geht – z. B. der Einhaltung der gestellten Bedingungen für entsprechende Koalitionen. Äußerungen Wagenknechts, die sie als Fangirly von SPDlern wie dem – verfassungsfeindlichen – Berufsverbote-Brandt outen, lassen ein:n ja auch hier mit einem mulmigen Gefühl im Bauch zurück. Tja, und die auch heutzutage nach wie vor links blinkende und dann mit quietschenden Reifen immer wieder scharf = extrem rechts abbiegende SPD kann ruhig in der Versenkung verschwinden. Im Wesentlichen kam doch nie was Gutes von der, zumindest wenn mensch die Zeit vor 1905 unberücksichtigt lässt. Wie auch? Wer wie die SPD den Kapitalismus und damit zwangsläufig – mindestens implizit – Ausbeutung, Massenmord durch Krieg und allgemeine Zerstörung geil findet, kann doch niemals nachhaltig irgendwas Positives bewirken. Interessant an der Geschichte ist doch entsprechend nur, wie die deutsche Kapitalfraktion es immer wieder schafft, diese Typen nach den regelmäßigen Zusammenbrüchen wieder aufzubauen, die Leute/»den Wähler« (tm) dazu zu bringen, dem linken Blinken immer und immer wieder zu vertrauen und sich dann immer und immer wieder folgenlos zu wundern, dass die Schrottkiste immer und immer wieder rechts abbiegt … Das geht doch nur mittels Hirnwäsche. Weswegen wir alle zu guten »Deprogrammierern« werden, also die Leute aus der »SPD-Sekte« herausholen und nicht mit einer Form von tülletülle-Bedauern a la »kleineres Übel« (was nicht stimmt und nach 1905 nie gestimmt hat) wieder in diese Sekte reintreiben sollten.
  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (15. August 2024 um 15:28 Uhr)
    Abwägend zwischen Friedens- oder Kriegsgeläut, Leugnung eigener Geschichte, Verrat an ihrer Mitgliedschaft haben bis in die Gegenwart die Führungen der SPD aktiv daran mitgewirkt, zwei Weltkriege auf das deutsche Kriegskonto einzutragen. Sie ist mit ihrem Präsidium auch heute bereit, einen dritten Weltkrieg zu riskieren, sich aller kriegerischen Ziele verpflichtet zu fühlen, die aus ihren Reihen seit Jahrzehnten offen oder versteckt verhalten zu jeder Zeit vertreten wurden.
    Geschichtsvergessen, ein Adjektiv, mit dem alle gern ihre politischen Gegner diffamieren. Verrat und Vergessen sozialdemokratischer Ansprüche scheint in die Köpfe über viele Generationen leicht zu bringen zu sein. Wer hätte es gedacht Sozialdemokraten und Grüne finden sich heute auf einem politischen Niveau gleichsam in Ignoranz aller historischen Wahrheiten, mit Hohn und Spott auf alle die wieder, die noch ein Mindestmaß davon verstehen, wie Kriege gemacht werden, wer, wozu in wessen Interesse sie vom Zaun gebrochen werden. Diese SPD spricht von Friedensverantwortung für unsere Kinder. Welch ein Hohn! Sie sprechen gern von und über Demokratie. Was meinen sie mit Demokratie? Will die Mehrheit der Deutschen, eine Mehrheitsdemokratie, die das Ziel hat, Russland bis weit über Moskau hinaus mit Raketen zu erreichen?
    Ist das Wunsch und Wille deutscher Demokraten oder sind das die Ziele, die seit den Weltkriegsniederlagen auf deutscher Agenda stehen? Wer kann und sollte daran zweifeln, dass sie erneut versuchen, woran zweimal gescheitert wurde? Geben wir uns keiner Illusion hin. Bei Strafe des eignen Untergangs, sie werden es tun. Wer Moskau mit atomaren Raketen, Waffen erreichen will, der will nicht bedrohen, sondern siegen. Deutsche Ziele waren nie andere. Deutsche Ziele haben auch nie an Niederlage geglaubt, tun es heute nicht. Der Siegeswahn hat alle die erfasst, die Wehrtüchtigkeit predigen, nie selbst ihr Haut auf die Schlachtfelder tragen müssen. Können wir auf Volkes Verstand und Vernunft noch hoffen? Ist dazu noch Zeit?
  • Leserbrief von Andreas Kubenka aus Berlin (14. August 2024 um 15:45 Uhr)
    Deutsche Kriege sind seit 1999 wesentlich rot-grüne Kriege. Vermutlich wäre das auch nicht anders, wenn es nach der letzten Bundestagswahl für Rot-Rot-Grün »gereicht« hätte.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (14. August 2024 um 11:23 Uhr)
    Schwerter zu Pflugscharen! Dieser demagogische Slogan, den man gerne gegen die DDR propagierte und der von sogenannten »Bürgerrechtlern« als Propaganda gegen den ersten und einzigen Friedensstaat auf deutschem Boden in Stellung gebracht wurde. Von den Damen und Herren »Bürgerrechtlern«, die sich nach 1990 sehr gerne vom neuen Staat hofieren ließen, ist nun in Sachen Anti-Kriegserklärungen und Friedensvorschlägen, nichts mehr zu hören. Hier passt eine Erkenntnis von Heinrich Heine: »Die über Nacht sich umgestellt, zu jedem Staate sich bekennen, das sind die Praktiker der Welt, man könnte sie auch Lumpen nennen.«
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (14. August 2024 um 07:14 Uhr)
    Diese Verlogenheit der SPD zum Thema Krieg ist chronisch, weil seit 110 Jahren Parteiräson, zumindest in großen Teilen der Spitze. Kritik wurde mit Mord (Luxemburg und Liebknecht) beantwortet, andere SPD-Spitzen verließen unter anderem diese bellizistische Partei nach dem Kriegsausbruch gegen Jugoslawien im Jahr 1999 (Lafontaine). Am Kurs änderte und ändert das nichts. Man muss Mützenich und Stegner ein gewisses Maß an Respekt zollen, dass sie sich gegen den Kurs des SPD-Vorstandes aussprechen. Doch wieviel Gewicht haben diese beiden Genossen (und ihre sicherlich sehr kleine Anhängerschar)? Keines, so sieht es nach außen aus. Dieser Beschluss treibt mir die Gänsehaut über den Rücken. Mein vor sechs Wochen geborener Enkelsohn und meine Kinder (und alle anderen Menschen) sollen keinen Krieg mehr erleben - diese Forderung wird doch erst Realität, wenn die Bellizisten in der Ampelregierung (und darüber hinaus) entmachtet sind. Wenn diejenigen, die den Rüstungskonzernen diese Maximalprofite ermöglichen, die ja aus Steuergeldern erzeugt werden, endlich für ihr Tun zur Verantwortung gezogen werden, weil sie gemäß §80 und §80a des StGB schuldig sind. Außerdem ist diesen Regierungsmitgliedern und ihren Unterstützern Verfassungsbruch vorzuwerfen, weil der Artikel 26 (Friedensgebot) hier gebrochen wird, vom Amtseid des Kanzlers und seiner Minister möchte ich gar nicht mehr anfangen. Doch was können die 74% der Ostdeutschen und die ungefähr 50% der Westdeutschen dagegen tun? Protest muss auf die Straßen, und dieser muss in einer Demonstration münden, die den Bonner Hofgarten von 1983 in den Schatten stellt. Denn eines ist Fakt, die Milliarden, die in die Rüstung gehen brauchen wir für ein funktionierendes Gesundheitswesen, für die Instandsetzung von Schulen, Schiene und Straßen, für einen funktionierenden Sozialstaat. Aber diese Regierung plant weitere Kürzungen im sozialen Bereich und dafür gehört ihr ordentlich auf die Finger gehauen. Kommt alle am 03.10. nach Berlin!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in michael k. aus Schopfheim (13. August 2024 um 21:34 Uhr)
    Wer macht euch zum Braten? - Sozialdemokraten!
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (13. August 2024 um 20:52 Uhr)
    Während die CDU in Ostdeutschland noch versichert, die Raketenfrage zur Abstimmung zu stellen, zeigt die SPD, wie man das politische Spielfeld richtig verlässt. Wozu einen Dialog mit der eigenen Wählerschaft führen, wenn man den viel befriedigenderen Weg wählen kann, sich von eben dieser zu entfremden? Der wahre Pioniergeist der SPD liegt in der Fähigkeit, ihre historischen Wurzeln zu ehren und dennoch die Kunst der Selbstzerstörung immer weiter zu perfektionieren. Wer braucht schon Wähler, wenn man sich als die unangefochtene Meisterin der politischen Eleganz in den »Sonstigen« etablieren kann?

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