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Aus: Ausgabe vom 14.08.2024, Seite 8 / Ansichten

Staatsgründung des Tages: »Schönes Russland«

Von Reinhard Lauterbach
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Zerstörte Häuser in der Oblast Kursk (Sudscha, 7.8.2024)

Der Schweizer See, an dem Wolodimir Selenskij im Juni seinen »Friedensgipfel« inszeniert hat, heißt bekanntlich so, weil um ihn herum die ersten »Waldstätten« gelegen sind, aus denen später die ersten Kantone der Schweiz wurden. Es gibt also keinen prinzipiellen Grund, warum nicht aus kleinen Anfängen doch noch etwas werden kann. Kommt Zeit, kommt Rat – kommt Attentat?

So etwas muss sich der Architekt von Boris Jelzins erschwindeltem Wahlsieg von 1996 und Gründer einer »Stiftung für effiziente Politik«, Marat Gelman, gedacht haben. Und so veröffentlichte er, kaum dass die Ukraine ein paar hundert Quadratkilometer russisches Gebiet in der Region Kursk besetzt hatte, aus seinem montenegrinischen Exil die Idee, auf diesem Territorium könnte doch eine russische Gegenregierung installiert werden und von dort aus den Regimewechsel in Moskau vorbereiten. O ja, freute sich da der Berufskrimtatare Refat Tschubarow, der seit 2014 in Kiew residiert: Dort könnten Gelman und die Seinen ja das »schöne Russland der Zukunft« vorbereiten. Und für den Moment schon mal in den besetzten Ortschaften – wo schon vor dem ukrainischen Angriff kaum noch jemand wohnte, wie das auf dem russischen flachen Land öfter vorkommt – »Verwaltungsstrukturen und Schulen« aufbauen. Schulen ohne Kinder, Verwaltungsstrukturen ohne Verwaltete, das hört sich gut an. Da haben sich die früheren Utopisten mehr Mühe gemacht. Aber das Ganze steht ja ohnehin unter einem großen, großen Vorbehalt: »Wenn es der Ukraine gelingt, diese Gebiete dauerhaft zu halten.«

Dass das der Fall sein wird, bezweifelt die westliche Expertenschaft in seltener Geschlossenheit. Wenn aber nicht, dann müsste der unternehmungslustige Gelman das landschaftlich etwas öde Kursker Gebiet eh wieder mit der Bucht von Kotor vertauschen. Vielleicht sollte er sich den Umzug gleich sparen?

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (14. August 2024 um 11:18 Uhr)
    Beispiel: Schweizer Kantönli? Es ist schon erstaunlich, wie oft die Geschichtsbücher herangezogen werden, um die abstrusesten Argumentationen zu stützen. So auch in diesem Artikel, der uns suggeriert, dass die Ukraine in ihren politischen Träumen eine Art spirituelle Schicksalsgemeinschaft mit der Schweiz sieht. Der Vergleich? Nun, die frühen Schweizer Kantone, die aus kleinen Anfängen zu einer stabilen Konföderation heranwuchsen, sollen als Inspiration für eine russische Gegenregierung auf ukrainischem Boden dienen. Die Ukraine solle sich ein Beispiel an den Schweizer Kantonen nehmen? Das wäre in etwa so, als würde man einem Einarmigen raten, doch Klavier zu spielen, weil Beethoven schließlich auch ohne Gehör komponierte. Ironischerweise verkennt die ukrainische Regierung in dieser Vorstellung das Entscheidende an der Schweizer Erfolgsgeschichte: Sie basiert auf dem Prinzip des Miteinanders, nicht des Gegeneinanders. Die Schweiz ist nicht zu dem geworden, was sie ist, weil sie feindliche Besatzungszonen errichtete und von dort aus Gegenregierungen plante, sondern weil unterschiedliche Kulturen und Sprachen einen Weg fanden, friedlich zusammenzuleben.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (13. August 2024 um 19:56 Uhr)
    Wenn es der Ukraine gelänge, »diese Gebiete dauerhaft zu halten«, welche Amtssprache müssten die Herren vom schönen Russland dort sprechen?

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