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Aus: Ausgabe vom 14.08.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Des Pudels Kern

Mondsüchtig unter Werwölfen: Der Animationsfilm »200% Wolf«
Von Barbara Eder
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Artfremde Wolfskräfte: Der Mensch ist dem Menschen ein Pudel

Am Anfang war nicht das Wort, keine Schöpfungsgeschichte, geschweige denn ein schwarzes Loch. Die Trickkiste computergenerierter Animation bietet dennoch mehr als die totale Absenz: Im technologisch hochgerüsteten Storyboard von Alexs Stadermanns Sequel »200% Wolf«, dessen Vorläufer »100% Wolf« vor drei Jahren an den Start ging, schweben schon im Vorspann Figuren ohne feste Körper durch die Lüfte. Als frei flottierende Abkömmlinge des Erdtrabanten wachen sie über mondsüchtige Werwölfe, die sich in irdischen Megacitys zu Rudeln zusammenrotten. Unnahbar und von wechselhafter Gestalt, erwecken die halbtransparenten Transzendenzverwalter nicht nur Unbelebtes zum Leben, auch interspezielle Transformationen sind den ätherischen Gebietern aus fernen Galaxien ein Leichtes.

Bereits zu Beginn von »200% Wolf« verwandelt Mondgeist Moopoo einen verzweifelten Welpen mit dem anspielungsreichen Namen Freddy Lupin in einen heulenden Wolf. Als rosa Pudel mit Punkfrisur fand er im irdischen Straßenhundeverein kein Auskommen mehr und wollte deshalb auf Werwolf umschulen. Der glücklose Schoßhund fleht die Mondgeister an – und wird im Handumdrehen transformiert. Auf der spiegelnden Oberfläche einer Hundelache erkennt Freddy sich nun als ein anderer wieder. Während der narzisstische Jüngling seine optimierten Körperfunktionen bestaunt, verschwindet Hundefreundin Batty, die ihn auf seiner Reise begleitet, aus dem Sichtfeld. Einen Moment lang bellt sie noch aus dem Off, dann untermalen die Klänge eines geremixten Eurodancehits Freddys neues Erscheinungsbild: »I’ve Got the Power«, 1989 erstmals eingespielt von Snap!

In der Welt des Animationsfilms sind anthropomorphe Tiere nicht selten in Familiengeschichten verstrickt, in denen mit den Kindern auch die Eltern therapiert werden. So könnte man »200% Wolf« für eine Coming-of-Age-Geschichte halten, in der eine Selbstsuche zur Individuationspflicht wird. Nur als Abkömmling einer anderen Art, scheint es, kann ein Hund sich in einer Gesellschaft behaupten, die ihn zum Außenseiter hat werden lassen. Überleben soll nur, wer zum Wolf wird – mit der Übernahme der alten römischen Komödienmaxime »Homo homini lupus (est)« hat Thomas Hobbes dafür den ideologischen Unterbau geliefert. Kindliches Wunschdenken prallt auf sozialdarwinistische Realität: Nur die stärksten Wölfe dürfen heulen – oder etwa doch nicht?

In »200% Wolf« knallen über 96 Minuten mit den Farben auch die Figuren – dennoch hat man den Verdacht, dass bereits zur Hälfte der Laufzeit das Budget wohl ziemlich aufgebraucht war. Im letzten Drittel des Films verwandelt Freddy Lupin sich noch ein letztes Mal – und rettet ein Gespensterleben.

Während Mondgeist Moopoo im Sterben liegt, setzt Freddy all seine Fähigkeiten daran, ihn wieder zum Leben zu erwecken. Mit einem esoterischen Energietransfer gelingt das. Freddy schickt ominöse Strahlen durch den ermatteten Gespensterkörper – und damit Wolfskräfte in artfremde Materie. Kurz nachdem der Mondgeist wieder zu atmen beginnt, transformiert sich Freddy zurück. Für einige Minuten wird der 200prozentige Wolf zu einem Menschen, der noch nicht auf den Hund gekommen ist, um sich am Ende doch als Welpe wiederzufinden. Das also ist des Pudels Kern: Unter Wölfen kann ein Hund sich Respekt verdienen, wenn er gespenstisches Leben rettet. Am Ende ist der Mensch dem Menschen kein Wolf, sondern ein pinker Pudel.

»200% Wolf«, Regie: Alexs Stadermann, Australien/Deutschland/Mexiko/USA/Spanien 2024, 98 Min., bereits angelaufen

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