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Aus: Ausgabe vom 14.08.2024, Seite 15 / Antifaschismus
Vor 100 Jahren

Das Scheitern der »Internationalen Antifaschisten-Liga«

Im September 1924 wurde das eng mit der KPD verbundene Bündnis unter der Leitung von Willi Münzenberg aufgelöst
Von Ulrich Schneider
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Delegierte des II. Weltkongresses der Komintern in Pawlowsk bei Petrograd im Sommer 1920

Von Victor Hugo stammt die Erkenntnis, nichts auf der Welt sei so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Umgekehrt können Ideen, deren Zeit noch nicht gekommen ist, oft keine Wirksamkeit entfalten. So ähnlich ging es einem Politikkonzept, das von der Kommunistischen Internationale (KI) im Jahr 1923 implementiert wurde: eine »Antifaschistische Weltliga«.

Bekanntlich beschäftigte sich die KI schon seit 1922 mit den politischen Folgen der Etablierung der faschistischen Herrschaft in Italien, des monarchistisch-faschistischen Regimes in Bulgarien und des gewalttätigen Agierens faschistischer Verbände und Kräfte in mehreren europäischen Ländern. In einem Referat vor dem erweiterten Exekutivkomitee der KI nannte Clara Zetkin im Juni 1923 den Faschismus eine »Bewegung von Hungrigen, Notleidenden, Existenzlosen und Enttäuschten«. Ihrem politischen Charakter nach sei diese jedoch »der stärkste, der konzentrierteste, (…) der klassische Ausdruck der Generaloffensive der Weltbourgeoisie in diesem Augenblick. Ihn niederzuringen, ist eine elementare Notwendigkeit. (…) Mit aller Klarheit und Kraft müssen wir verhindern, dass sie (die Faschisten, jW) Mannschaften stellen für die Gegenrevolution der Bourgeoisie. Soweit wir jene Schichten nicht für unsere Partei, unsere Ideale gewinnen, nicht in Reih und Glied der revolutionären proletarischen Kampfheere ziehen können, muss es uns gelingen, sie zu neutralisieren (…) Sie dürfen uns nicht mehr als Landsknechte der Bourgeoisie gefährlich werden.«

Schon im Frühjahr 1923 hatte die KPD in Frankfurt am Main eine erste internationale antifaschistische Beratung und im Sommer den ersten »Antifaschistentag« organisiert, der – trotz Verbot – auf große Resonanz stieß. Ausgehend von dieser Bewegung war die KPD, in der Person von Willi Münzenberg, im Auftrag der KI federführend beim Aufbau einer »Weltliga gegen den Faschismus« mit ihrer »Chronik des Faschismus«, die ab Ende August 1923 regelmäßig erschien. Es ging – als Information für die nationalen Sektionen der KI – um eine Beobachtung der völkischen, militaristischen und faschistischen Teile der extremen Rechten in verschiedenen europäischen Ländern. Nach heutigem Verständnis leistete die »Weltliga« Recherche, Aufklärung und Bündnisarbeit. Es wurden Materialien über faschistische Organisationen zusammen mit den nationalen Sektionen der »Weltliga«, die eng verbunden waren mit den jeweiligen kommunistischen Parteien, in Österreich, Tschechoslowakei, Frankreich, Italien, den USA und Skandinavien ausgewertet. Selbst vom Balkan kamen entsprechende Berichte. Daraus entstanden Materialien für die alltägliche Agitation. In der Bündnispolitik wurden Kontakte zu Organisationen von linkssozialistischen, radikalen zivilen und intellektuellen Gruppen geknüpft.

Nach einer längeren organisatorischen Vorbereitungszeit wurde Anfang November 1923 unter der Überschrift »Gegen den Faschismus! Gegen reaktionäre Schreckensherrschaft und weißen Terror!« der Aufruf zur Gründung einer »Internationalen Antifaschisten-Liga« veröffentlicht. Darin wurde betont, dass die faschistische Bedrohung keine Parteifrage mehr sei, sondern alle Schichten der Gesellschaft betreffe. Der Faschismus sei »gegen alle politischen Arbeiterorganisationen, gegen alle Gewerkschaften, gegen die Genossenschaften, sogar gegen die Jugend- und Kindergruppen«. »Alles freiheitliche intellektuelle Leben hört auf, wo die Faschisten zur Macht kommen. Die faschistische Gefahr bedroht heute die ganze Welt, vor allem Deutschland.« Man rief dazu auf, »in allen Ländern antifaschistische Organisationen ins Leben zu rufen«, um die Kräfte »zu einem energischen einheitlichen Kampf gegen den Faschismus zu vereinigen«.

Beeindruckend war die Unterstützerliste des Initiativkomitees zum Aufbau einer internationalen antifaschistischen Liga. Zu ihnen gehörten u.a. Henri Barbusse, Henri Guilbeaux, Romain Rolland, Anatole France, André Marty (Frankreich), Clara Zetkin, George Grosz, Ernst Toller, Max Barthel, Willi Münzenberg, Leo Klauber, Wilhelm Herzog (Deutschland), Edo Fimmen, Henriette Roland Holst (Niederlande), Upton Sinclair (USA), Fritz Platten (Schweiz) sowie Franz Koritschoner und Prof. Carl Grünberg (Österreich). Als formaler Sitz der »Weltliga« wurde Amsterdam gewählt. Das eigentliche Büro war aber bei der KPD in Berlin.

Am 10. Dezember 1923 fand in Berlin die erste (und einzige) Tagung der »Weltliga gegen Faschismus« statt. Über 50 Teilnehmer aus 14 Ländern waren anwesend. Auch Sozialdemokraten, Gewerkschafter und bürgerliche Demokraten folgten dem Aufruf. Die Teilnehmenden repräsentierten in gewisser Weise die in verschiedenen Ländern bereits bestehenden antifaschistischen Gruppen und Strukturen der »Antifaschistischen Weltliga«.

Das zeitweilige Verbot der KPD und der kommunistischen Presse, das nach dem gescheiterten Hamburger Aufstand von der sozialdemokratisch geführten Reichsregierung in Zusammenarbeit mit dem Chef der Reichswehr, General Hans von Seeckt, im November 1923 verkündet wurde, hatte auch Auswirkungen auf die »Weltliga«. Zwar versuchte man Anfang 1924, nach Österreich auszuweichen und erst später wieder nach Berlin zu kommen, jedoch ohne dauerhaften Erfolg.

Negativen Einfluss darauf hatte auch eine Änderung der Orientierung der KI Anfang 1924 nach der Auswertung der Lage in Deutschland, wo sich die SPD–Führung als Vollstrecker reaktionärer Politik nicht nur bei der Reichsexekution gegen die Arbeiterregierungen in Thüringen und Sachsen gezeigt hatte. Insbesondere Grigori Sinowjew und Ruth Fischer bewerteten die Sozialdemokratie als »Bundesgenossen des Faschismus«. Bezogen auf die antifaschistische Bündniskonzeption spielte der V. Weltkongress der KI im Juni/Juli 1924 eine richtungsweisende Rolle, die faktisch das Ende der »Antifaschistischen Weltliga« bedeutete.

Zwar wurden in Vorbereitung des Kongresses Willi Münzenberg und Gyula Sas von der KI-Kommission gegen den Faschismus beauftragt, einen »Bericht über die faschistische Bewegung, Frühjahr 1924« und damit einen Überblick der Recherche zu den faschistischen Bewegungen in Europa und die Tätigkeit der »Antifaschistischen Weltliga« vorzulegen. Auf dem Kongress selbst spielte dieses Material jedoch keine Rolle. Vielmehr wurde in der beschlossenen »Resolution über den Faschismus« selbiger als »klassische Form der Konterrevolution in der Verfallsepoche der kapitalistischen Gesellschaftsordnung« bezeichnet. Er entstehe vor allem dort, wo das Proletariat den Machtkampf aufgenommen, aber nicht erfolgreich geführt habe. Dagegen müsse »eine wirklich revolutionäre Strategie und Politik der kommunistischen Parteien«, die »Anstrebung der Einheitsfront aller arbeitenden Schichten« im Sinne einer »Einheitsfront von unten«, die »Organisierung des Generalstreiks«, die »Anwendung des Massenterrors (…) durch Repressalien gegen die Faschisten« und die »Vertreibung der Faschisten aus den Betrieben« bilden.

Das war nicht mehr das Bündniskonzept der »Antifaschistischen Weltliga«, die trotz aller Bemühungen von Willi Münzenberg im September 1924 aufgelöst wurde. Deren politische Zeit war wohl noch nicht gekommen. Aus heutiger Sicht sollten diese Erfahrungen und die damals entstandenen Materialien um so dringlicher intensiv ausgewertet werden.

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