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Aus: Ausgabe vom 14.08.2024, Seite 16 / Sport
Nachruf

Der große Vorsitzende

Werder-Legende und Bayern-Schreck: Zum Tod von Willi Lemke
Von Peter Merg
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Die besten Jahre: Manager Willi Lemke (1946–2024) und Andreas Herzog feiern die Meisterschaft 1993

Schlecht war der Bundesligafußball in den 80er/90er Jahren, aber unterhaltsam. Große Duelle, hitzige Rivalitäten. Allen voran: Werder Bremen gegen Bayern München, der Emporkömmling gegen den Platzhirsch, Willi Lemke gegen Uli Hoeneß. Die beiden Manager schenkten sich nichts, die Dauerfehde war ein gefundenes Fressen für Boulevard und Privatfernsehen, als in den 90er Jahren immer mehr Geld in den Fußball floss, aber noch kein Funktionsträger ein Pressetraining absolviert hatte. Nun ist der kleinere der beiden Großen tot, Willi Lemke starb am Montag im Alter von 77 Jahren in Bremen, wie sein Herzensklub mitteilte. Mit Hoeneß hatte er sich längst versöhnt.

Lemke gab sich hanseatisch-bodenständig, war aber nicht minder abgezockt als sein bajuwarischer Konterpart, der Exspieler und Self-made-Wurstfabrikant. Der in Ostholstein geborene und ausgerechnet in Hamburg aufgewachsene Lemke war studierter Lehrer. Der Erziehungs- und Sportwissenschaftler arbeitete Anfang der 70er an der Uni Bremen, wo er sich der örtlichen Sozialdemokratie anschloss. Auf deren Ticket sollte er fortan unterwegs sein, war im AStA und bei den Jusos. Sein Potenzial fiel auch dem KGB auf, der ihn zu rekrutieren suchte. Aber Lemke petzte gleich beim Landesamt für Verfassungsschutz und versuchte den sowjetischen Agenten eine Falle zu stellen – ohne Erfolg. In der SPD stieg er schnell auf, wurde Geschäftsführer des Landesverbandes. Aber nicht schnell genug. 1981 wechselte er als Manager zum SV Werder, in ein ähnlich schmutziges Metier.

Beim just aus der zweite Liga wiederaufgestiegenen Traditionsklub prägte Lemke im Duo mit dem Trainer Otto Rehhagel eine Ära. Beide mochten sich nie, doch nahmen’s sportlich. Man etablierte sich nach und nach unter den Spitzenmannschaften. Zunächst ohne Titel, aber immerhin mit ungewöhnlich nett anzusehendem Offensivfußball – was im Angesicht von Rehhagels späteren Erfolgen als Betonmischer manchen überraschen mag. Lemke hielt derweil die Knete zusammen (laut Willy Brandt »der lebende Beweis dafür, dass Sozialisten doch mit Geld umgehen können«), verpflichtete den überragenden Stürmer Rudi Völler und schickte Giftpfeile gen München. Nachdem man 1983 und 1986 die Meisterschaft verpasst hatte, begannen 1988 einige der besten Jahre für die Grünen mit der Raute auf der Brust. Mit »kontrollierter Offensive« (Rehhagel) überflügelte das Team um Torwart Oliver Reck, »Eisenfuß« Uli Borowka (nur 22 Gegentore) und Stürmer Kalle Riedle (18 Treffer) erstmals die Stars aus München. Das gelang später noch mehrfach: 1993 holten die Bremer erneut die Meisterschaft, 1992 den Europapokal der Pokalsieger, 1991 und 1994 den DFB-Pokal. Hinzu kamen legendäre Auftritte im Europapokal, etwa das 5:0 gegen den BFC Dynamo 1988 und das unglaubliche 5:1 im UEFA-Pokal 1990 gegen Maradonas SSC Neapel.

Lemke unterzeichnete damals zwar auch Verträge auf Bierdeckeln, löste gelegentlich Spieler in örtlichen Bordells aus oder quetschte sich den Finger in der Tür des Panzerschranks, hielt den Klub aber auf Kurs: Mal reaktivierte man Altstars wie Manni Burgsmüller oder Klaus Allofs, mal zog man Eigengewächse in die erste Mannschaft wie Dieter Eilts oder Marco Bode, die später Nationalspieler wurden. 1989 war Lemke der erste Manager, der ein Bundesligaheimspiel komplett an einen Sponsor verkaufte. Wegen der günstigen Eintrittspreise kamen auf einmal mehr als 37.000 Zuschauer statt der üblichen 20.000. Wahr ist allerdings auch: So schlitzohrig sich Lemke anstellte, innovativer war der FC Bayern. Hoeneß flog in die USA und adaptierte Ideen für Merchandising, professionalisierte das Marketing, schloss Geheimverträge mit Fernsehmogul Leo Kirch. Unternehmermacht schlägt Politik, auch damals.

Der Fluch des Lemke: Als Rehhagel schließlich nach 14 Jahren zu den Bayern wechselte, wurde er nicht glücklich. Werder aber auch nicht. Es begann die allmähliche Talfahrt. Als man 1999 beinahe abgestiegen war, trat die gesamte Werder-Führung um den langjährigen Präsidenten Franz Böhmert zurück, auch Manager Lemke. Im selben Jahr wurde der Exspieler und Jugendtrainer Thomas Schaaf zum Chefcoach befördert. Ein Wachwechsel, der kommende Erfolge einläutete. 2004 holte Werder mit Schaaf und Manager Klaus Allofs sensationell das Double aus Meisterschaft und DFB-Pokal.

Lemke war da wieder in den Armen der Partei gelandet. 1999 wurde er Bildungssenator, was er bis 2008 blieb, ab 2007 verantworte er das Innenressort. Nur Bürgermeister durfte er nicht werden, die Parteibasis zog ihm Jens Böhrnsen vor. Wie der Rest der alten Werder-Garde rückte er nach der Ausgliederung der Werder Bremen GmbH & Co KGaA in deren Aufsichtsrat, dem er 2005 bis 2012 vorsaß. Patriarchen in der zweiten Reihe: Hoeneß herrschte wie ein Pate, Lemke wie der Vorsitzende eines SPD-Ortsverbands. Doch bevor der Klüngel der sogenannten Werder-Familie den Klub ein weiteres Mal Richtung zweite Liga misswirtschaftete, wo man 2021 landete, schaffte Lemke den Absprung.

Ihm blieb der Job als »UN-Sonderberater für Sport im Dienste von Frieden und Entwicklung«, den er auf Vorschlag der Bundesregierung über acht Jahre versah, dann war 2016 endgültig Schluss. Lemke verwaltete nun seinen Ruf als Legende aus einer vermeintlich besseren Zeit, als noch Klubs ohne Weltkonzerne im Rücken den Bayern die Stirn boten und ein hagerer Hanseat mit Hang zum Moralismus den Hoeneß zum Kochen brachte. So ist er in die Bundesliga-Annalen eingegangen, als solcher wird er vermisst. Nichts sichert die Liebe der Fans wie eine gute Geschichte. Lustig war es mit Lemke allemal.

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