Trend »Made in China«
Von Wolfgang PomrehnDie Entkoppelung der BRD von China will nicht recht gelingen. Erklärtermaßen möchte die Bundesregierung die Wirtschaft unabhängiger vom Land der Mitte machen und lieber ab und zu mal ein Kanonenboot vorbeischicken. Doch die hiesigen Konzerne scheinen andere Pläne zu haben. Zuletzt haben ihre Direktinvestition zwischen Gelbem Meer und kasachischer Grenze stark zugelegt, wie die britische Financial Times am Dienstag unter Berufung auf die Bundesbank berichtete. Demnach haben deutsche Unternehmen im ersten Halbjahr 7,28 Milliarden Euro in China investiert.
Das ist schon jetzt mehr als 2023, als insgesamt 6,5 Milliarden aus Deutschland in neue Fertigungsanlagen in Fernost flossen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln scheint allerdings etwas anders zu rechnen. Nach dessen Angaben wurden dort im vergangenen Jahr von hiesigen Konzernen 11,9 Milliarden Euro investiert, was ein historischer Höchstwert gewesen sei. Bei über der Hälfte dieses Betrages handelte es sich jedoch um Gewinne, die zuvor in China gemacht worden waren. Die Bundesbank registriert hingegen vermutlich nur die Kapitalflüsse aus Deutschland nach China.
Wie dem auch sei, alle Warnungen des Bundeskanzlers Olaf Scholz vor »geopolitischen Risiken«, alle Appelle der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen an die westeuropäischen Konzerne, das Engagement in China herunterzufahren, scheinen ungehört zu verhallen. Indes, verdenken kann man es den deutschen Managern nicht. China ist unter anderem mit Abstand der weltweit größte Automarkt und zudem ein Markt, der offen für Zukunftstechnik ist. Während Autohersteller hierzulande viel technisches Know-how in einen großangelegten Abgasbetrug gesteckt haben, wird in China schon seit Beginn des Jahrtausends die Entwicklung von Elektroautos, -bussen und -lastkraftwagen von höchster Stelle vorangetrieben. Das Ergebnis: Im Juli hatten erstmals über die Hälfte aller im Land verkauften Fahrzeuge einen elektrischen oder hybriden Antrieb.
Da wundert es nicht, dass das Gros der deutschen Direktinvestitionen in der Volksrepublik von den Autoherstellern getätigt wurde. Zumindest in näherer Zukunft wird es auch so weitergehen. Unter anderem hat BMW im April angekündigt, 2,5 Milliarden Euro in seine Produktionsstätten in Shenyang stecken zu wollen, während VW plant, mit der gleichen Summe seine Entwicklungs- und Fertigungsstätten in der westlich von Shanghai gelegenen Provinz Anhui auszubauen.
Offensichtlich hat man in deutschen Vorstandsetagen eine eigene Vorstellung von Risikominimierung. Der Trend sei »Lokalisierung«, zitierte die Financial Times einen China-Experten vom Bundesverband der Deutschen Industrie. Die Lehre aus den Lieferengpässen während der Coronapandemie und der Blockade des Suezkanals durch den Frachter »Ever Given« 2021 sei, möglichst viel vor Ort zu produzieren. Das scheint um so attraktiver, da die Entfernungen zu den Wachstumsmärkten Südostasiens gering sind und Handelshemmnisse zwischen diesen und China zunehmend abgebaut werden.
Beim IW macht man sich unterdessen Sorgen um die deutsche Exportwirtschaft, da hiesige Ausfuhren durch Fertigung vor Ort ersetzt werden. Ansonsten sieht man die Lokalisierungs-Strategie beim Kölner Institut auch als Absicherung, sollte es zu einer zugespitzten Konfrontation zwischen dem Westen und der Volksrepublik kommen.
Interessant dürfte in einem solchen Fall werden, wie sich die Spitzen der deutschen Wirtschaft und die Bundesregierung verhalten. Die Zahlen deuten darauf hin, dass sie sich zwischen allen Stühlen wiederfinden könnten, denn US-Konzerne sind dabei, Investitionen aus China abzuziehen und auch der Rest der EU zeigt erheblich weniger Engagement in der Volksrepublik. Seit Jahren kommen mehr als die Hälfte der EU-Investitionen dort von hiesigen Unternehmen. Viele in Europa würden sich Sorgen machen, warnte die britische Wirtschaftszeitung.
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Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (15. August 2024 um 08:50 Uhr)Müssten sich nicht Marx, Engels, Lenin … im Grabe umdrehen, wenn sie erführen, wie die europäischen Kapitalisten ihren Profit maximieren, indem sie in der Volksrepublik China produzieren lassen? - Die Kapitalisten verhalten sich gemäß der Lehre: Profitmaximierung durch Kostensenkung! Nachdem die Arbeiter hierzulande halbwegs gerechte Löhne erkämpfen konnten, ist die Produktion in Deutschland nicht mehr besonders lukrativ. Eher schon in China, wo Lohnniveau und -kosten deutlich niedriger sind. Und die regierende KP Chinas hilft dabei, indem sie keine Streiks für gerechtere Löhne zulässt. – Hatten sich das die genannten Klassiker so vorgestellt?
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (15. August 2024 um 14:17 Uhr)Lieber Herr Pfannenschmidt, meine Vermutung ist eher, dass Marx und Engels sich angesichts ihrer materialistischen Herangehensweise im Grabe umdrehen würden. Um Butter bei die Fische zu machen (mit Tabellen hat es die jW nicht so, aber wat mut, dat mut): Im Jahre 2013 betrug die Reallohnerhöhung gegenüber dem Vorjahr in China (CN) 9,0 %, in Deutschland (DE) -0,1 %; 2014: CN 6,0 %, DE 1,7 %; 2015: CN 6,7 %, DE 2,2 %; 2016: CN 5,5 %, DE 1,8 %; 2017: CN 5,9 %, DE 1,0 %; 2018: CN 7,0 %, DE 1,4 %; 2019: CN 5,6 %, DE 1,1 %; 2020: CN 4,6 %, DE -1,2 %; 2021: CN 7,6 %, DE 0,0 %; 2022: CN 2,0 %, DE -4,0 %. Natürlich werden die chinesischen ArbeiterInnen in Renminbi Yuan und nicht in harter D-Mark bezahlt. Das verhindert aber nicht, wie mir mein Schwiegersohn erzählt hat (bei einem großen europäischen Automobilkonzern beschäftigt), dass bestimmte Dienstleistungen aus China abgezogen und z. B. nach Vietnam verlagert wurden. Ich hoffe nicht allzu viele Tippfehler gemacht zu haben. Die Daten stammen von https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Realloehne-Nettoverdienste/Tabellen/liste-reallohnentwicklung.html#134646 und https://de.statista.com/statistik/daten/studie/692312/umfrage/entwicklung-der-realloehne-in-china/
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