Prozess nach tödlichem Baupfusch
Von Bernhard Krebs, KölnIm November 2020 wurde Anne M. in ihrem VW Polo auf der Autobahn A 3 in Köln aus dem Nichts von einer sechs Tonnen schweren Betonplatte einer Schallschutzwand erschlagen. Für die 66jährige kam jede Hilfe zu spät. Sie starb noch am Unfallort an den Folgen ihrer schweren Verletzungen. Fast vier Jahre später begann am Dienstag vor dem Kölner Landgericht der Prozess gegen drei Beschuldigte. Sie sollen beim achtspurigen Ausbau der A 3 zwischen 2006 und 2008 Kenntnis davon gehabt haben, dass sieben von insgesamt 200 Lärmschutzwandvorsatzschalen nicht planmäßig montiert worden seien. Beim Einbau habe sich herausgestellt, dass die Maße nicht mit den Halterungen übereinstimmten. Nach dem Baustellenmotto »Was nicht passt, wird passend gemacht« sollen improvisierte Haltewinkel angeschweißt worden sein. Die Folge sei ein ungenügender Korrosionsschutz gewesen.
Bauingenieur Bernhard B. war damals Bereichsleiter der mit dem Autobahnausbau beauftragten Firma. Ihm legt die Staatsanwaltschaft Totschlag durch Unterlassen sowie tateinheitlich Baugefährdung zur Last. Zudem stehen zwei ehemalige Mitarbeiter des landeseigenen Auftraggebers Landesbetrieb Straßenbau NRW (»Straßen.NRW«), Vejran B. und Detlev E., wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Laut Anklage war »Straßen.NRW« damals über die behelfsmäßige Befestigung informiert und forderte bei der Baufirma ein Statikgutachten an. Dieses habe Bernhard B. ab September 2008 vorgelegen. Der Ingenieur habe es jedoch nicht an den Landesbetrieb weitergeleitet. »Er blieb untätig, obwohl das zu erwartende Versagen der Halterungen für ihn erkennbar war«, sagte Oberstaatsanwalt René Seppi bei der Anklageverlesung. Damit habe der Angeklagte »billigend den Tod eines Menschen in Kauf genommen«.
Die Abnahme der Konstruktion im November 2008 sei nur unter Vorbehalt des noch nachzureichenden Gutachtens erfolgt. Doch nichts sei geschehen, auch weil die mutmaßlich auf seiten von »Straßen.NRW« Verantwortlichen, die beiden Angeklagten Vjeran B. und Detlev E., ihrer »Kontrollpflicht« nicht nachgekommen seien und nicht nachhakt hätten, wo das Gutachten bleibe. »Hätten sie es getan, hätten sie Kenntnis davon erlangen können«, heißt es in der Anklage.
Es kam, wie es kommen musste: Korrosion beschädigte die zurechtgeschusterten Halterungen, bis schließlich am 13. November 2020 eine der 2,5 mal 5,3 Meter großen Lärmschutzvorsatzschalen herausbrach. »Sie löste sich von der Betonwand, kippte nach vorne, stürzte ungebremst auf den Kleinwagen und erschlug die Geschädigte«, so Seppi.
Über Verteidigerin Kerstin Stirner wies Bernhard B. die Vorwürfe zurück. Ihr Mandant habe das Gutachten »nicht zur Kenntnis genommen und erst recht nicht unterschlagen«. Auch sei nicht er als Bereichsleiter für die Montage der Betonplatten verantwortlich gewesen, sondern der inzwischen verstorbene Bauleiter. Der Angeklagte Detlev E. wies über seine Verteidiger ebenfalls jede Verantwortung für den Tod der 66jährigen von sich. Vjeran B. schwieg.
Keine Rede war am Dienstag vom Organisationsversagen bei »Straßen.NRW«. Wie der Kölner Stadt-Anzeiger am Montag in einem Vorbericht zum Prozess berichtete, erhielt die Wand bei der Hauptuntersuchung 2013 die Bestnote »sehr gut«. Die turnusmäßige Hauptuntersuchung 2019 habe dann nicht stattgefunden. Die Arbeitsbelastung bei »Straßen.NRW« sei zu hoch gewesen, unerledigte Projekte hätten sich gestapelt.
Einen Monat nach dem Unglück benannte der damalige Landesverkehrsminister und heutige Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) Versäumnisse beim Landesbetrieb als »mitursächlich« für den tödlichen Unfall. Der damalige stellvertretende und heutige SPD-Fraktionsvorsitzende im Düsseldorfer Landtag, Jochen Ott, beklagte im Dezember 2020 gegenüber dpa Personalmangel beim Landesbetrieb als mögliche Ursache für »die unsachgemäße Weiterbetreuung dieses Baumangels«. Der Mangel gehe insbesondere auf die CDU-FDP-Regierung von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zurück. Unter ihr seien in den Jahren 2005 bis 2010 »insgesamt 771 Stellen gestrichen worden«, so Ott.
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