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Aus: Ausgabe vom 15.08.2024, Seite 7 / Ausland
Korea

Geschichtsrevision zum Jahrestag

Südkorea: Besatzungsmacht Japan zum Befreiungsgedenken reingewaschen
Von Martin Weiser, Seoul
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Mit der früheren Besatzungsmacht Japan kann er gut, mit dem Norden nicht so: Südkoreas Präsident Yoon (Seoul, 15.8.2023)

Am 15. August wird in beiden koreanischen Staaten das Ende der Besatzung durch die Japaner gefeiert, die von 1910 bis 1945 die Halbinsel kontrollierten. Für die Konservativen im Süden ist es sogar ein doppelter Feiertag. Auf den Tag genau drei Jahre nach Ende der Besatzung wurde die südkoreanische Republik ausgerufen, zumindest offiziell endete damit auch die Besatzung durch die US-Armee. Dass der erste südkoreanische Präsident Rhee Syngman, der sich bis 1960 an die Macht klammerte, erst von der CIA eingeflogen worden war und dann per US-Maschine zurück nach Hawaii floh, deutet schon an, wie wenig unabhängig der Süden war. Südkoreas amtierender Staatschef Yoon Suk Yeol möchte aber dennoch genau an diesem Tag eine neue präsidiale Formel zur Wiedervereinigung verkünden, die zum letzten Mal vor 20 Jahren geändert wurde.

Das ruft verständlicherweise Besorgnis hervor. Denn im vergangenen Jahr zum 75. Jahrestag der Staatsgründung hatte er in seiner Rede betont, die Agenten des Nordens tarnten sich auch heute noch als Aktivisten für Demokratie und Menschenrechte, während er für Japan nur gute Worte übrig hatte. Dass sich das Land noch immer nicht für seine Verbrechen während der Besatzungszeit von Zwangsprostitution bis Sklavenarbeit entschuldigt hat, kehrte er lieber unter den Teppich. Ähnliches kann man auch dieses Mal erwarten, nur dass er bereits durchsickern ließ, es müsse in der Formel für die Wiedervereinigung nun endlich auch mal um »freiheitliche« Demokratie und die Menschenrechtsverletzungen im Norden gehen. Bisher wurde nur »Demokratie« erwähnt und anscheinend befürchten die Rechten, man könnte unter dem Begriff ja auch Sozialdemokratie oder linkere Ziele verfolgen.

Im Zweifrontenkampf gegen Nordkorea und die Erinnerungskultur ernannte der Präsident diesen Monat prompt jemanden zum Chef der sogenannten Unabhängigkeitshalle, der ein projapanisches Geschichtsbild durchsetzen will. Laut der Zeitung Kyonghyang sieht der Neue, Kim Hyeong Seok, es zum Beispiel als Geschichtsfälschung an, dem früheren Präsidenten bzw. Diktator Park Chung Hee vorzuwerfen, er habe mit den japanischen Besatzern kollaboriert. Dabei hatte Park seine militärische Laufbahn in der japanisch besetzten Mandschurei begonnen und sich an der Macht auch entsprechend kollaborativ gezeigt. Per Aussöhnungsvertrag ließ er Japan 1965 seine Militärdiktatur mit riesigen Summen aufpäppeln und verzichtete dafür auf jedwede weitere Forderung für begangene Verbrechen während der Besatzungszeit. Die Forderungen der Koreanerinnen etwa, die von der japanischen Armee in die Sexsklaverei gezwungen wurden, lehnt Tokio unter anderem mit Verweis auf diesen Aussöhnungsvertrag ab. Park deswegen nur als Kollaborateur während der Besatzungszeit zu bezeichnen, greift also eigentlich zu kurz.

Wegen dieser Fehlbesetzung verweigern die Oppositionsparteien und Lee Jong Chan, der Chef der Vereinigung zur Bewahrung des Andenkens an den Widerstand, nun ihre Teilnahme an der Staatsfeier. Statt dessen will man diesen Tag im Kim-Ku-Museum in der Hauptstadt begehen. Kim Ku war von 1940 bis 1947 Präsident der Exilregierung und dann der koreanischen Regierung unter der US-Militärbesatzung, bis man ihn kaltstellte, um für Rhee Syngman Platz zu machen. Kim war vehement gegen die Teilung der koreanischen Halbinsel und die Gründung eines separaten Staates im Süden, während Rhee immer wieder den Einmarsch in den Norden beschwor. Am 26. Juni 1949 wurde Kim Ku ermordet, ein Jahr später tobte Krieg in Korea. Der Attentäter gab 1992 zu Protokoll, dass der Mordauftrag von Rhee Syngmans Sicherheitschef gekommen sei.

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