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Aus: Ausgabe vom 15.08.2024, Seite 8 / Inland
Rufe nach mehr Abschiebungen

»Eine verantwortungslose Verschiebung von Problemen«

Bayerischer Flüchtlingsrat setzt Debatte um straffällige Geflüchtete Argumente entgegen. Ein Gespräch mit Jana Weidhaase
Interview: Hendrik Pachinger
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Ukrainische Flüchtlinge nach Ankuft mit Sonderzug in München (12.3.2022)

Der Flüchtlingsrat in Bayern möchte mit einer neuen Argumentationshilfe in den Diskurs des »geflüchteten Straftäters« eingreifen. Warum ist das wichtig?

Viele, die als vermeintlich schwere Straftäter abgeschoben werden, wurden verurteilt wegen kleiner Delikte, wie zum Beispiel Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Es gibt Strafen, die nur von Menschen ohne deutschen Pass begangen werden können. So zählen alle als Straftäter, die gegen die Passpflicht verstoßen und dafür strafrechtlich verurteilt wurden. Auch illegale Einreise kann hierunter fallen. Aufgrund fehlender legaler Einreisemöglichkeiten sind diese Straftaten für Menschen auf der Flucht unumgänglich. Straftaten als Grund für Abschiebungen zu nehmen, ist eine doppelte Bestrafung. Die Menschen sitzen oder zahlen ihre Strafen ab, oder sie leisten Sozialstunden. Dann können sie ausländerrechtlich zusätzlich noch ausgewiesen oder abgeschoben werden.

Sie kritisieren, dass eine Abschiebung keine Verantwortungsübernahme darstelle, sondern eine Verschiebung von Problemen. Können Sie das ausführen?

Niemand will gefährliche Menschen in seiner Nähe haben, das ist verständlich. Deshalb gibt es bei uns Haft- und Resozialisierungseinrichtungen. Aber wer denkt »Aus den Augen, aus dem Sinn«, hat nicht weit gedacht. Schwere Straftäter können einfach woanders weiter Straftaten verüben. Aus Datenschutzgründen wird nicht immer die Information weitergegeben, dass die abgeschobene Person ein verurteilter Straftäter ist. Denken wir beispielsweise an Sexualstraftäter, die dann in ihren Heimatländern gefährlich für Frauen oder Kinder werden. Es ist also eine Verschiebung von Problemen und global gesehen verantwortungslos.

Wäre es denkbar, dass sich die Bundesregierung zur Durchsetzung dieser Pläne an einer »Ruanda-Lösung« versuchen könnte, also die Abschiebung von Menschen in irgendein Land auf dem jeweiligen Heimatkontinent?

Prinzipiell ist es so, dass die Staatsangehörigkeit der Person geklärt sein muss für eine Abschiebung. Staaten nehmen nur Personen, die aufgrund eines Passes oder Passersatzpapiers als dessen Staatsangehörige zählen. Manchmal nehmen auch Staaten andere Staatsangehörige auf, aber das ist eher eine Ausnahme. Das ist aber unabhängig von Straftaten. Für die Abschiebung von Straftätern kann ich mir momentan nicht vorstellen, dass man sie in irgendwelche Drittstaaten abschieben könnte – und wenn doch, dann nur zu einem sehr hohen Preis, vermutlich auf Kosten von Grund- und Menschenrechten.

Sie kritisieren den Diskurs als menschenverachtend und irreführend. Menschenrechte können nicht verwirkt werden. Wenn juristisch daran nicht zu rütteln ist, was sind dann die Motive hinter dieser Rhetorik?

Das bezieht sich vor allem auf die Aussagen, Straftäter in Länder wie Afghanistan und Syrien abzuschieben. Wenn Menschen in ihren Herkunftsländern Folter, Tod und Verfolgung droht, greift das sogenannte Non-Refoulement-Prinzip (völkerrechtlicher Grundsatz der Nichtzurückweisung, jW). Nicht umsonst hat Deutschland die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben.

Welche Möglichkeiten haben Geflüchtete und private Organisationen, gegen eine Ausweitung der Ausweisungspraxis vorzugehen?

Geflüchtete und NGOs können auf Menschenrechtsverstöße in den Herkunftsländern und Gefahren, die den Abgeschobenen dort drohen, aufmerksam machen. Außerdem können NGOs mehr Transparenz fordern, zu welchen Bedingungen Abschiebungen ermöglicht werden. Staaten nehmen oft zu ganz eigenen Bedingungen ihre Staatsangehörigen zurück.

Wir sprechen hier immer von Menschen. Manchmal habe ich das Gefühl, das wird in der ganzen Abschiebungsdebatte vergessen. Abschiebungen lösen nicht die Migrationsfrage. Auch wenn mal ein paar mehr durchgeführt werden, werden Migration und Flucht bleiben, für die es grundsätzlich neue Lösungen braucht, wie beispielsweise die Ausweitung legaler Einwanderungsmöglichkeiten.

Jana Weidhaase arbeitet für den Bayerischen Flüchtlingsrat in der Beratung

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