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Aus: Ausgabe vom 15.08.2024, Seite 11 / Feuilleton
Urlaub

Sommerliche Schlössertour: Wernigerode

Von Bernhard Spring
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Schick ist es ja schon: Schloss Wernigerode

Der Kontrast könnte nicht größer ausfallen: Unten, im Tal, die quirlige Stadt, durch deren Breite Straße sich die Touristen schieben. Alles ist interessant, vom Buchladen bis zum Restaurant im Ratskeller. Wernigerode ist hier ganz Fachwerk, sehr urig, mit viel Bier. Nicht zufällig befindet sich (wenn auch nicht mehr im Ortsteil Hasse­rode) Ostdeutschlands größte Brauerei genau in dieser Stadt.

Und dann oben auf dem Berg, wo das einstige soziale Oben im Schloss residierte. Hier gibt es auch Fachwerk, aber vor allem mächtige Mauersteine, die dem wohl berühmtesten Schloss Sachsen-Anhalts eine sehr wuchtige Optik verleihen. Während die Stadt im Jetzt lebt, verharrt die runde Anlage auf dem Berg im Gestern, genauer gesagt irgendwo zwischen 1862 und der späteren Kaiserzeit. Das kann sehr schön anmuten, wenn beispielsweise das Arbeitszimmer von Graf Otto oder die Ankleide von Gräfin Anna ganz original eingerichtet sind. Wie viele Schlösser in Sachsen-Anhalt stehen komplett leer.

Hier aber atmet alles spätpreußische Reserviertheit. Jagdzimmer mit Eberspießen, gewebte Stofftapete mit persönlichem Wappen, Keramiksammlung im Frühstückszimmer. Und vom Fenster aus ist der Brocken zu sehen, sogar bei durchwachsenem Wetter.

Dann kommt der Speisesaal, noch eingedeckt für die wohl vornehmsten Besucher des Hauses (dabei hat im Gästezimmer noch 1927 der ägyptische König übernachtet): Kaiser Wilhelm II. sah und aß hier, ihm gegenüber die holde Gattin, drumherum der Graf und beider engstes Gefolge. Ein paar Namen sind bekannt: Pückler, von der Schulenburg – Adel eben.

Und da wird es plötzlich ein bisschen zu geschichtsvergessen: Graf Otto war Vizekanzler unter Bismarck, Porträts von den drei letzten deutschen Kaisern sind an allen Wänden zu sehen. Hier wurde die preußische Provinz eingemottet. Ohne Zweifel ist alles sehr stimmig: das dunkle, holzvertäfelte Schloss und der behäbige Charme Preußens. Nur … sollte so ein Standbild der Vergangenheit nicht erklärt werden? Müsste nicht irgendwo über Sozialistengesetze, Kolonien, imperialistisches Säbelrasseln und Judenfeindlichkeit geschrieben werden?

Aber was die Herren hier besprachen, wes Geistes Kinder sie waren, bleibt in Wernigerode unbekannt. Das ist schön, weil es den Kopf freihält für das Ambiente. Wo wir doch im Urlaub sind! Aber es sorgt auch etwas.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (15. August 2024 um 08:02 Uhr)
    Tja, man wollte eben das Feudalmuseum aus DDR-Zeiten bewusst vergessenmachen. Aber es stimmt schon: Das Schloss ist wirklich bemerkenswert – auch weil große Teile meisterhaft restauriert und ausgestattet wurden. Viele Räume sehen so aus, als ob die »Bewohner« nur mal eben kurz nicht da sind …

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