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Aus: Ausgabe vom 16.08.2024, Seite 6 / Ausland
Präsidentschaftswahlen Venezuela

Kampf um die Meinungsmacht

Venezuela: Debatten um Wahlergebnis gehen weiter. Opposition nutzt Umfragen und neuen Zwischenbericht einer UN-Expertengruppe
Von Julieta Daza, Caracas
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Die Menschen in Caracas wollen Frieden und sich nicht für auswärtige Interessen verheizen lassen (6.8.2024)

Fast drei Wochen nach den Präsidentschaftswahlen in Venezuela hat sich das alltägliche Leben wieder etwas normalisiert. Doch die angespannten Debatten über den Urnengang, das Szenario danach und allgemein die venezolanische Politik hören sowohl innerhalb des Landes als auch auf internationaler Ebene nicht auf.

Dass die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung Frieden für die venezolanische Gesellschaft möchte, besagt die neueste, zwischen dem 31. Juli und dem 9. August durchgeführte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Hinterlaces. Ihr zufolge wünschen sich 78 Prozent der Venezolaner, dass die Bevölkerung trotz politischer Differenzen »vereint« und »friedlich« leben kann. 96 Prozent sind demnach nicht mit gewalttätigen Protesten einverstanden. Zudem vertrauten 60 Prozent den vom Nationalen Wahlrat (CNE) bekanntgegebenen Wahlergebnissen, die Präsident Nicolás Maduro als Sieger der Wahlen zur neuen Präsidentschaft in den Jahren 2025–2031 ausmachen. 72 Prozent würden das Thema Wahlen gerne hinter sich lassen und nach vorn schauen. Dabei sehen sie die Prioritäten der Politik in der Sicherung der Einkommen, der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage sowie beim Gesundheits- und Bildungssystem.

Programm verschwiegen

Andere Meinungsforscher präsentieren jedoch gegenteilige Ergebnisse: Laut einer zwischen dem 8. und dem 11. August durchgeführten Umfrage des Instituts Meganálisis glauben 92,7 Prozent nicht an die Ergebnisse des CNE, und 43,2 Prozent wollen aus Venezuela auswandern. Während man Hinterlaces eher als regierungsnah charakterisieren könnte, sympathisiert Meganálisis offen mit der rechten Opposition. Bereits vor den Wahlen hatte es einen »Krieg der Umfragen« gegeben. Umfragen, die den Oppositionskandidaten Edmundo González als wahrscheinlichsten Wahlsieger präsentierten, wurden besonders im Ausland weiterverbreitet, während Umfragen mit anderen Ergebnissen ignoriert wurden.

Migration ist tatsächlich eines der Hauptthemen, wenn nicht das einzige, auf das der Wahlkampf von González und der eigentlichen Führerin der Rechten, der Oligarchin María Corina Machado, fokussiert hat. Dabei wurde gezielt die Unzufriedenheit vieler Familien wegen der Emigration von Angehörigen instrumentalisiert. Man wolle »die venezolanische Familie wiedervereinen«, so die Losung Machados. Doch dass viele Venezolaner ihr Land aufgrund der sozialen und ökonomischen Schwierigkeiten verlassen mussten, die vor allem auf die US-Sanktionen gegen die Bolivarische Republik zurückzuführen sind, wurde ebenso verschwiegen wie das eigentliche Programm, das die Rechte umsetzen würde, wenn sie an die Macht käme. Das auf englisch verfasste und vor allem auf die Privatisierung der Erdölindustrie, des Dienstleistungssektors sowie des Bildungs- und Gesundheitssystems abzielende Programm González wurde jedoch vor den Wahlen vom linken Juristen und Schriftsteller Luis Britto García übersetzt und entsprechend angeprangert.

Maduro benachteiligt

In einem Interview vom 9. August mit dem englischsprachigen Onlinemedium Venezuelanalysis zog der Basisaktivist und Sprecher der in der venezolanischen Hauptstadt Caracas aufgebauten »Sozialistischen Kommune El Panal 2021«, Robert Longa, Bilanz der Präsidentschaftswahlen. Mit dem Interviewer stimmte er überein, dass diese nicht »frei und fair« gewesen seien, da González von einem »immer noch ungeheuer mächtigen US-Imperialismus« unterstützt worden sei. Maduro hingegen müsse mit »seit fast einem Jahrzehnt andauernden brutalen Sanktionen umgehen«. Für Longa geht die Bolivarische Revolution weit über die liberale Demokratie hinaus.

»Die Wahlen sind nur ein taktischer Moment in unserem breiteren Kampf. Damit das bolivarische Projekt vorankommt, war es entscheidend, dass Maduro gewinnt, und er hat gewonnen.« Die eigentliche Basis der venezolanischen Demokratie sei »ihr partizipatorischer Charakter«. Das bedeute, »dass der Aufbau einer Volksmacht unerlässlich ist. Die kommunale Versammlung – die wir in El Panal als ›patriotische Versammlung‹ bezeichnen – ist für uns die ultimative demokratische Autorität«, so Longa abschließend.

Neuer Aufmarsch

Unterdessen hat Machado für Sonnabend zu einer weiteren Protestaktion aufgerufen. Unter der Losung »Großer Protest für die Wahrheit« soll sie sowohl in Venezuela als auch im Ausland abgehalten werden. Die in den vergangenen Tagen veranstalteten Kundgebungen sind jedoch zumindest in Caracas zahlenmäßig anscheinend nicht überwältigend gewesen. Vielleicht setzt Machado auch deshalb sehr stark auf internationalen Druck gegen die Regierung Maduros.

Dafür kommt ihr ein am vergangenen Freitag veröffentlichter Zwischenbericht einer UN-Expertendelegation, die die Wahlen begleitet hat, sehr gelegen. Dem zufolge habe der vom CNE durchgeführte Wahlprozess nicht »den grundlegenden Transparenz- und Integritätsmaßnahmen entsprochen, die für die Abhaltung glaubwürdiger Wahlen unerlässlich sind«. Kritik äußerten die Experten jedoch vor allem an der Art der Bekanntgabe der Wahlergebnisse. Dass bisher keine nach Wahllokal aufgesplitteten Ergebnisse veröffentlicht und auch die Wahlprotokolle bislang nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, habe negative Auswirkungen auf das Vertrauen der venezolanischen Wählerschaft in das vom CNE verkündete Ergebnis gehabt. Man habe außerdem »eine kleine Stichprobe« der öffentlich kursierenden Auszählungsakten überprüft, diese hätten alle Merkmale erfüllt, auch diejenigen der Opposition.

Sowohl das venezolanische Außenministerium als auch der Wahlrat lehnten den Bericht ab. In einer am Mittwoch (Ortszeit) veröffentlichten Bekanntmachung betonte der CNE, die UN-Expertengruppe habe zwar den gesamten Wahlprozess begleitet, die Veröffentlichung von Berichten sei jedoch nicht ihre Aufgabe, da es sich nicht um eine Wahlbeobachtungsdelegation handele. Eine solche brauche nämlich ein Mandat des UN-Sicherheitsrats.

Mexiko schert aus

Es bleibt abzuwarten, ob es der US-hörigen Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der fast alle mittel- und südamerikanischen Staaten angehören, gelingt, eine Anfang August vorgeschlagene Resolution zur »Wahlkrise in Venezuela« zu verabschieden. Bisher hatte diese nicht die nötige Mehrheit erreicht. Am Dienstag (Ortszeit) jedoch scherte der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador aus dem Verbund mit Brasilien und Kolumbien aus, die Maduro bisher unterstützt hatten. Er breche den Dialog zur Lage in Venezuela mit seinen Amtskollegen aus Brasilien und Kolumbien vorerst ab und wolle das Urteil des Obersten Gerichtshofs Venezuelas (TSJ) zu den Wahlen abwarten, so Obrador.

Maduro hatte vor dem TSJ beantragt, hinsichtlich aller Geschehnisse rund um den Urnengang zu ermitteln, auch der von der Regierung angeprangerten Cyberattacke gegen das automatisierte Wahlsystem. Noch am 8. August hatten die Außenministerien der drei genannten Staaten eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, in der sie die Veröffentlichung der Wahlergebnisse jedes Wahllokals als notwendig bewerteten, die venezolanischen Einsatzkräfte zur Achtung der Menschenrechte aufriefen, aber auch ihren Respekt vor der Souveränität der Bolivarischen Republik erklärten.

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