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Aus: Ausgabe vom 16.08.2024, Seite 7 / Ausland
Krieg gegen Gaza

Schutzschild für Israels Armee

Festgenommen und gefesselt vorgeschickt: Laut Soldaten ist Kommandoebene über Kriegsverbrechen an palästinensischen Zivilisten informiert
Von Gerrit Hoekman
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Der Gegenseite vorwerfen, was man selbst praktiziert: Israelische Soldaten im Süden des Gazastreifens (Rafah, 3.7.2024)

Benjamin Netanjahu behauptet steif und fest, keine Armee der Welt sei moralischer als die israelische. Entweder ist Israels Ministerpräsident schlecht informiert, oder er hat eine mehr als bedenkliche Auffassung von Ethik. Bei einer Recherche fand die große israelische Tageszeitung Haaretz nämlich heraus, dass die Truppen im Gazastreifen zufällig aufgegriffene, unschuldige palästinensische Zivilisten zwingen, als erste nachzuschauen, ob ein Tunnel oder ein Haus mit Sprengsätzen versehen ist. Stabschef Herzl Halevi wisse Bescheid, berichtete die Zeitung am Dienstag.

»In den vergangenen Monaten haben israelische Soldaten im ganzen Gazastreifen auf diese Weise menschliche Schutzschilde eingesetzt, sogar das Büro des Generalstabschefs weiß davon«, beruft sich Haaretz auf mehrere Quellen innerhalb der Armee. Die palästinensischen Zivilisten würden sogar allein deswegen verhaftet. Sie werden in israelische Uniformen gesteckt. »Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass die meisten von ihnen Turnschuhe tragen, keine Armeestiefel. Und ihre Hände sind auf dem Rücken gefesselt, und ihre Gesichter sind voller Angst«, so Haaretz. Die Soldaten würden jede ihrer Geiseln höhnisch Schawisch nennen, Arabisch für Sergeant. Die oberen Dienstränge tolerieren diese unmenschliche Praxis nicht nur, sie stellen sogar einen Persilschein aus: »Es ist besser, wenn sie explodieren und nicht die Soldaten«, werden die Worte eines Kommandanten gegenüber der Zeitung wiedergegeben.

Der Vorwurf ist keineswegs neu. Bereits vor anderthalb Monaten waren im katarischen TV-Sender Al-Dschasira Aufnahmen zu sehen, wie israelische Einheiten an den Händen gefesselte Palästinenser in Häuser und Tunnel schickten. Die Gefangenen waren mit Kameras ausgestattet, damit die Soldaten sehen konnten, was sich in den Gebäuden abspielte. Das einzig Humane an diesem Kriegsverbrechen war, dass die Palästinenser wenigstens Splitterschutzwesten trugen. Ein Wehrpflichtiger bestätigte gegenüber Haaretz, dass zumindest der Brigadekommandeur davon gewusst habe. Ein anderer Soldat erklärte, dass bei jeder Operation ein menschlicher Schutzschild zehn Minuten vor allen anderen losgeschickt werde.

Die von israelischen Kriegsveteranen gegründete NGO Breaking the Silence kommen solche Vorgänge seit Beginn des Gazakriegs zu Ohren. Zuerst habe man an schlimme Ausnahmen geglaubt. Ein Trugschluss. »Wir haben das von verschiedenen Einheiten gehört, die zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten in Gaza kämpften«, zitierte die britische Tageszeitung The Guardian am Mittwoch den Vorsitzenden der NGO, Nadav Weiman. Er geht von einem System aus. Einem Soldaten sei gesagt worden, dass palästinensische Zivilisten eingesetzt würden, um die Hundestaffeln zu ersetzen, die bei der Suche nach Sprengstoff umgekommen seien.

In seiner Einheit habe es lautstarken Protest gegeben, erzählt ein Soldat in der Haaretz. »Natürlich gab es diejenigen, die das unterstützten, aber zumindest bei uns waren es nur wenige, hauptsächlich die Kommandeure.« Mehrmals sei der Begriff »internationales Recht« gefallen. Ein Kommandant habe die Soldaten in aggressivem Ton gefragt, ob sie etwa nicht der Meinung seien, dass ihr Leben und das der Kameraden viel wichtiger sei.

Auch auf der besetzten Westbank missbrauchen die Besatzungstruppen Palästinenser als Schutzschilde. Im Juni sorgte ein Video für weltweite Empörung, auf dem zu sehen ist, wie ein israelischer Jeep durch Dschenin fährt. Auf der Motorhaube liegt festgebunden ein offensichtlich verletzter Palästinenser, der die Kolonne vor Beschuss schützen sollte. Schon während der zweiten Intifada von 2000 bis 2005 setzte die Armee Palästinenser als Schutzschilde ein, damals nannte sie es das »Nachbarschaftsverfahren«. Menschenrechtsgruppen wandten sich daraufhin an den Obersten Gerichtshof, der 2005 entschied, dass das Verfahren illegal und ein Verstoß gegen das Völkerrecht sei. Der damalige Stabschef Dan Halutz befahl, das Urteil des Gerichts strikt durchzusetzen.

Doch im aktuellen Krieg, der laut israelischer Regierung die totale Vernichtung der Hamas zum Ziel hat, ist anscheinend wieder alles erlaubt. Bei jedem Treffen der Kommandoebene »gab es Kommandeure, die vor den ethischen und rechtlichen Konsequenzen warnten, wenn die Angelegenheit öffentlich bekannt würde. Es gab Offiziere, die darum baten, das Treffen zu unterbrechen, damit sie gehen dürften«, erzählte ein Teilnehmer Haaretz. Offiziell erklärte die Armee zu dem Bericht laut der israelischen Tageszeitung Times of Israel, solches Verhalten sei verboten, dies wurde den Truppen klargemacht, und die Vorwürfe würden untersucht.

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (20. August 2024 um 10:47 Uhr)
    Das Grauen, Verbrechen gegen die Menschheit wird im Krieg vor allem an der Zahl der Opfer, besonders von Zivilisten gemessen. Frauen und Kinder sind es ganz besonders, die von PolitikernInnen liebend gern emotionalisierend politisch benutzt werden. Der Krieg gegen Gaza hat bereits 40. 000 Tote hinterlassen, mehr als auf dem Schlachtfeld Ukraine.
    In der politischen Berichterstattung über die Kriege stellt sich diese Tatsache aber gar nicht so dar. Die Mehrheit, die wir nach dem Krieg im Gaza oder Ukraine fragen würden, dürften uns im Grundton der Überzeugung den Krieg in der Ukraine, den sogenannten Krieg Putins als den grausamsten Krieg nennen. Ist er das in jeder Hinsicht? Bombardieren nur Russen bevorzugt Krankenhäuser, Schulen, Kindereinrichtungen, Kaufhallen usw.? Sind nur bei Russen beliebte Ziele, Kinder und Frauen, unschuldige Zivilisten? Den Berichten nach ist das so, muss jeder nach Konsum einschlägiger Nachrichtensender über den Tag, das als unbestreitbare Tatsache sehen. Alle Kommentierungen verantwortlicher PolitikerInnen der ersten Reihe, lassen keine andere Meinung aufkommen. Warum ist das so? Warum tun das PolitikerInnen bewusst wie verantwortungslos? Warum tun sie alles Meldungen nicht zu Bewusstsein kommen zu lassen, die vor allem jenseits deutscher Grenzen Kriegsverbrechen, Völkermord und brutalste Kriegsführung der israelischen Kriegsmaschinerie thematisieren, anklagen und verurteilen? Wer diese Ungleichheit, Einseitigkeit erkennt, der muss in große Zweifel geraten, was die ehrenhaften, menschenrechtlichen, humanen Ziele und Kriegstaten der ukrainischen Seite täglich in unsere Köpfe bringen will. Wir sind die Guten, die anderen die Bösen. Kann es sein, unser Volk ist mehrheitlich auf diesem simplen Niveau des Verständnisses und Meinungsbildung, die noch als frei vorgegeben wird? Wer zu ernsten Zweifeln gelangt ist, der ist ganz nahe daran, nie und nimmer die Lösung der Konflikte in mehr und mehr Krieg, Waffen, Rüstung und irrsinnigen Glauben an einen Sieg auf dem Schlachtfeld zu feiern.
    • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (20. August 2024 um 13:08 Uhr)
      »Bombardieren nur Russen bevorzugt Krankenhäuser, Schulen, Kindereinrichtungen, Kaufhallen usw.? Sind nur bei Russen beliebte Ziele, Kinder und Frauen, unschuldige Zivilisten?« Das scheinen leider auch Sie als Tatsache zu betrachten und bemängeln lediglich die Einseitigkeit, dass die Armee Israels nicht ebenfalls wegen solcher Taten angeprangert wird. Dass in jedem Krieg die genannten Einrichtungen und Personen auf beiden Seiten in Mitleidenschaft gezogen werden, ist zwar eine Tatsache. Die Frage ist jedoch, ob das als Nebenfolge des Beschusses anderer militärisch relevanter Ziele geschieht oder ob Zivilisten das eigentliche Ziel sind, sogar »bevorzugt«, wie Sie schreiben, z. B. um sie aus den Gebieten zu vertreiben wie in Gaza. Das wäre dann auch beim 10jährigen Beschuss von Donezk durch die Ukraine seit 2014 der Fall. Es gibt einen gravierenden Unterschied: Die Kämpfe spielen sich in der Ukraine hauptsächlich in den Gebieten ab, die Russland historisch und per anerkannter oder nicht anerkannter Volksabstimmungen für sich beansprucht. Es sind aus russischer Sicht ihre Gebiete und ihre Bürger, die dort leben, eben der Russland-freundlichere Bevölkerungsanteil der Ukraine. Warum sollte Russland, gar »bevorzugt« diese Menschen umbringen? Es möchte diese Gebiete möglichst wenig zerstört und die Menschen, auch aus demografischen Gründen, am Leben erhalten. Wer soll denn die Ukraine wieder aufbauen, wenn ein Land wie Russland, welches sich über 11 Zeitzonen erstreckt, nur 145 Millionen Einwohner hat? Die Ukraine ihrerseits möchte die Gebiete zurück, aber ohne Russen. Denen empfahl Seleinskij bereits vor dem Krieg, ihre Heimat, die Ukraine, zu verlassen und nach Russland auszuwandern. Wer neigt dann wohl nach aller Logik eher dazu, dort Zivilisten gezielt anzugreifen, um dem nachzuhelfen?
      • Leserbrief von Franz Döring (20. August 2024 um 16:10 Uhr)
        Sie reden jedes Mal von den angeblich anerkannten Volksabstimmungen für Russland in den annektierten Gebieten der Ukraine! Nennen Sie endlich die UNO Staaten, die diese Annexionen Russlands von ukrainischen Territoriums völkerrechtlich anerkannt haben! Meinen Sie etwa, dass ihre Meinung an der territorialen Unverletzlichkeit des ukrainischen Staatsgebietes etwas ändert? Wiederholen Sie nicht immer falsche Ansichten, die mit der wirklichen Rechtsauffassung der UNO nichts zu tun haben! Sogar Frau Wagenknecht spricht vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine! Die Ukraine ist angegriffen worden!

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