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Aus: Ausgabe vom 16.08.2024, Seite 8 / Inland
Rechte in Ostdeutschland

»Die anderen lassen sich von der AfD vor sich hertreiben«

Thüringen: Musiker demonstrieren mit antifaschistischen Songs gegen den Rechtsruck. Ein Gespräch mit Ortrud Staude
Interview: Gitta Düperthal
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Beklebtes AfD-Plakat: Ob das Wähler davon abhält, der Partei ihre Stimme zu geben? (Jena, 4.8.2024)

Unter dem Motto »Flöte und Bass statt Hetze und Hass« demonstrierten mehr als 100 Musiker mit einer Aktionswoche in Thüringen gegen den Rechtsruck. Konnten Sie mit der Musik überzeugen, und hatten Sie speziell antifaschistische Songs im Repertoire?

Musik kann beim Antifaschismus eine wichtige Rolle spielen. Wir spielten zum Beispiel Ondřej Volrábs »Unter fremdem Himmel«. Er hat das KZ Buchenwald überlebt, während seiner Haft dort 1944 komponierte er diesen Walzer. Musik des jüdischen tschechischen Pianisten Gideon Klein war zu hören. Er war im Dezember 1941 ins KZ Theresienstadt deportiert und kurz vor der Befreiung im Auschwitz-Außenlager Fürstengrube ermordet worden. Wir sangen »Drei rote Pfiffe« von den Schmetterlingen. Der Song handelt von der slowenischen Partisanin »Jelka«, die sich dem Widerstand im Wald anschloss, Flugblätter verteilte, sich an der Befreiung Österreichs vom Hitlerfaschismus aktiv beteiligte. Das Lied erzählt von der Hoffnung auf eine Welt ohne diese Verbrecher. Wir sangen und spielten auch Konstantin Weckers »Sage nein!«.

Was war Ihr Ziel?

Die Landtagswahl in Thüringen steht bevor. Wir fordern die Menschen auf, am 1. September ihre Stimme abzugeben, damit die AfD nicht stark wird. Mit unseren Aktionen beleuchten wir den Rechtsruck aus verschiedenen Perspektiven. Am Montag zeigten wir unseren Widerstand gegen das Wiederaufleben des heutigen Faschismus. Unser Auftritt am Dienstag galt der Historie. Vor der Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar bekundeten wir Respekt und Ehrfurcht für die Opfer, die von 1933 bis 45 viel Leid erdulden mussten. Am Mittwoch appellierten wir vor dem Landtag in Erfurt, so etwas Furchtbares nie wieder zuzulassen.

Wie war der Auftakt der Aktionswoche?

Zunächst probten wir, um gute Qualität zu bieten. Am Montag spielten wir in Eisenach vor dem »Flieder Volkshaus« der Partei »Die Heimat«, ehemals NPD. Mit unserem Konzert blockierten wir die Straße vor dem Nazizentrum. Nach lokalen Presseberichten gehen da unter anderem verbotene Neonazigruppierungen, »Combat 18« und »Blood & Honour«, ein und aus, sowie Mitglieder des internationalen »Hammerskin«-Netzwerks. Die Eisenacher Gruppierung »Knockout 51« trainiert dort Kampfsport. Wir fordern, das Haus zu schließen, es ist Dreh- und Angelpunkt militanter Neonazistrukturen. Antifaschistische Gruppen aus Eisenach dankten uns für den Auftritt. Eine Frau, die gerade von einer Tagung für Menschen mit Unterstützungsbedarf kam, die häufig »Behinderte« genannt werden, betonte: Es freue sie, dass wir sie in ihrem Kampf gegen die AfD und rechte Parolen unterstützen.

Worum ging es am Mittwoch vor dem Landtag in Erfurt?

Unsere Kritik: Die AfD macht die Hetze und die Regierung die Gesetze! Man muss nur ansehen, wie alle anderen Parteien sich von der extrem rechten Partei vor sich hertreiben lassen, etwa Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD, der den unsäglichen Spiegel-Titel vom Oktober 2023 zu verantworten hat: »Wir müssen endlich im großen Stil abschieben«. Die Abwehrpolitik gegen Migrantinnen und Migranten wird mit dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, GEAS, umgesetzt. Die AfD findet nur den zugespitzten Ausdruck dafür, was Regierungen in Bund und Ländern tun. Wir appellieren an den Thüringer Landtag, sich dazu zu verhalten.

Wie zum Beispiel?

Ich persönlich bin dafür, dass alle Waffenlieferungen aus Deutschland gestoppt werden müssen. Das Geld muss in soziale Einrichtungen und Bildung fließen. Solidarität zu den Armen der Gesellschaft muss gerade im Osten praktiziert werden. Tatsächlich sind viele Menschen dort abgehängt. Man muss sich vorstellen: In weiten Teilen der dortigen Metall- und Elektroindustrie müssen sie drei Stunden pro Woche länger arbeiten als im Westen. Und: Die IG Metall hatte dieser Abweichung vom Tarifvertrag zugestimmt. Es darf kein »Weiter so« geben.

Ortrud Staude ist Bratschistin der Musikgruppe »Lebenslaute«

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Johannes Wollbold aus Weimar (16. August 2024 um 00:14 Uhr)
    Die Konzerte in Weimar und am Thüringer Landtag haben mich als Zuhörer sehr berührt. Die Musik hat aber auch Freude gemacht und Energie ausgestrahlt für ein gerechtes, respektvolles und freies Zusammenleben. Beispielhaft dafür »Unter fremdem Himmel« des Buchenwald-Häftlings Ondřej Volráb – unglaublich, welche Kraft des Traums er dabei in den beiden letzten Sätzen aufbrachte! Im Wechsel von Musik/Chor und prägnanten Statements haben die Aktivist*innen einseitiges Schwarz-Weiß-Denken wie »Alle gegen die böse AfD« vermieden, wie im Interview beschrieben: »Die AfD findet nur den zugespitzten Ausdruck dafür, was Regierungen in Bund und Ländern tun.« Dennoch: Nur mit Antifaschismus kommen wir nicht weiter – es führt zur gegenseitigen Verhärtung. Es sind nicht alle Faschisten in AfD oder gar Freien Wählern, die Basis … Vorsicht, um wirkliche Faschisten klar zu erkennen! Wie beim Protest vor dem »Flieder Volkshaus« in Eisenach. Mit den anderen aber, die genauso ihre Aggressionen zu sublimieren versuchen wie die meisten, möchte ich mich respektvoll und zuhörend auseinandersetzen. Zu kurz kam mir daher bei den Aktionen, Protestanliegen konstruktiv aufzugreifen. »Lügenpresse« = Angriff auf die Pressefreiheit – das nützt besonders den Herrschenden, begünstigt ein »weiter so«. Es gibt keine reinen, unumstrittenen Fakten, insofern ist schon eine Selbstbezeichnung als »Faktenfinder« ausgrenzend, intolerant gegen andere Sichtweisen und Informationen. Zu Hochzeiten der Coronahysterie, die zum Zweck der Rechtfertigung autoritärer, viele Grundrechte einschränkender Maßnahmen geschürt wurde, wurden mäßigende Gegenmeinungen zu wenig veröffentlicht, oft diffamiert. Medienkritik ist urdemokratisches Anliegen, kann aber natürlich auch Gleichschaltung zu rechtfertigen versuchen. Den religiös (»Gottesleugner«) aufgeladenen Begriff »Klimaleugner« erwähne ich hier nur, oder ob man das pazifische AfD-Mäntelchen nur als »Putin-Versteherei« ignorieren sollte. Offener Dialog tut not!

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