Die Märkte brauchen den schwachen Yen
Von Lucas ZeiseKishida Fumio, der japanische Premierminister, kündigte vor zwei Tagen seinen Rücktritt als Regierungschef an. In der hiesigen Presse wird dieser als Folge eines Parteispenden- und -finanzierungsskandals interpretiert. Keine Frage, dass diese für die »Demokratien« des Westens übliche Affäre eine Rolle für den Rücktritt gespielt hat. Mindestens ebenso wichtig war aber mit Sicherheit, dass der von der japanischen Regierung jüngst gewagte Versuch, die Politik des schwachen Yen zu beenden und damit aus der langen, seit 1990 bestehenden ökonomischen Stagnation herauszukommen, grandios gescheitert ist.
■ Am 31. Juli hatte die japanische Zentralbank (Bank of Japan, BOJ) nach vielen Jahren der Nullzinspolitik zum zweiten Mal ihren Leitzins von 0,1 auf 0,25 Prozent erhöht. Es dauerte eine Weile, bis der Finanzmarkt reagierte, und der Yen gegenüber der Weltleitwährung US-Dollar plötzlich stieg. Am 5. August, also fünf Tage nach der Leitzinserhöhung, kam es zu einem Crash an den Finanzmärkten. Er fiel in Japan selbst heftig aus.
Die japanischen Aktienindizes fielen um 20 Prozent, die europäischen und US-Aktien fielen ebenfalls kräftig. Am Dienstag rutschten die Aktienmärkte weiter ab. Sie erholten sich aber danach und nähern sich wieder den alten Höchstständen. Die klugen Experten waren sich ausnahmsweise ziemlich einig, dass der entscheidende Faktor für das kurze Börsenbeben in Japan zu finden sei. Alles andere, die ohnehin ausgereizten Aktienkurse, die mögliche Rezession in den USA und die vielleicht ausbleibende Zinssenkung durch die US-Notenbank, wurden als Randbedingung gewertet.
Das Stichwort für diesen entscheidenden Faktor heißt im Banker- und Finanzenglischen »Carry Trade«. Trade ist das (Handels-)geschäft. Carry bezeichnet die Kosten, die der Kredit dafür kostet. Im vorliegenden Fall nehmen die Finanzakteure Kredite in der japanischen Währung Yen auf, die bei Leitzinsen von bisher null sehr erschwinglich sind, und kaufen für das Geld Aktien, Anleihen, Unternehmen oder was auch immer in aller Welt, was eine jedenfalls deutlich höhere Rendite abwirft als der Kredit kostet. Das lohnt sich schon dann, wenn es diese Zinsdifferenz zwischen dem einen Land (Japan) und den anderen gibt und sie einigermaßen dauerhaft ist.
Der nette Nebeneffekt für die Spekulanten besteht darin, dass die hohen Summen des in japanischer Währung aufgenommenen Geldes in andere Währungen getauscht werden müssen, um in Brasilien, Indien, den USA oder anderswo »investiert« zu werden. Das große Angebot an Yen führt am Devisenmarkt zu einem dauernden Druck auf diese Währung. Der Yen wird billiger. Die Carry Trader können also damit rechnen, dass die Rückzahlung des Kredits in ihrer Rechnung noch geringer ausfällt. Steigt allerdings der Yen, sind die Carry Trader gezwungen, die gekauften Wertpapiere abzustoßen, um den plötzlich teuren Kredit zu tilgen. Es ist unbekannt, wie hoch das Volumen dieser Yen-Kredite etwa ist. Es gibt plausible Schätzungen von derzeit etwa vier Billionen US-Dollar.
Der dank der Carry Trades schwache Yen gehört(e) seit Jahrzehnten zu den Zielen der japanischen Regierungen, denn ein schwacher Yen fördert den japanischen Export. Die großen japanischen Monopole gewinnen dabei, weil die Profite ihrer ausländischen Tochtergesellschaften in Yen größer werden. Sie sind außerdem die größten Nutznießer ihres mit superbilligem Kredit getätigten Kapitalexports. Der Carry Trade begann im großen Stil in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als Japan als erstes großes Land die Nullzinspolitik einführte.
Als nach der weltweiten Finanzkrise 2007/08 die Nullzinspolitik bei Notenbanken Mode wurde, machte der Carry Trade zwischen Japan und dem Rest der Welt Pause, weil die Zinsdifferenz verschwunden war. Er lebte wieder auf, als wegen der Inflation die Zinsen in den USA und Europa wieder angehoben wurden. Die BOJ hat sich für den Ärger an den heiligen Finanzmärkten schon entschuldigt. Das trug zur Beruhigung der Lage bei. Es bleibt bis auf weiteres bei der Politik des schwachen Yen.
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