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Aus: Ausgabe vom 16.08.2024, Seite 15 / Feminismus
Argentinien

Sexualisierte Gewalt instrumentalisiert

Argentinien: Milei schlachtet Anschuldigung gegen Expräsident Fernández aus
Von Paula Sabatés, Buenos Aires
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In den vergangenen Tagen hat eine Anschuldigung wegen geschlechtsspezifischer Gewalt Argentinien erschüttert. Der ehemalige Präsident Alberto Fernández wurde von seiner Expartnerin Fabiola Yáñez beschuldigt, körperliche, verbale, psychologische und reproduktive Gewalt gegen sie ausgeübt zu haben. Inmitten einer höchst fragwürdigen Medienberichterstattung nutzt der rechte Präsident Javier Milei die Auswirkungen des Falles, um seinen Vorgänger zu kritisieren. Dabei wurde jedoch etwas Entscheidendes »vergessen«: Seine Regierung hat gravierende Einschnitte bei der Gleichstellungspolitik und bei den Mechanismen für das Anzeigen sexualisierter Gewalt vorgenommen.

Der Skandal begann mit einem Bericht in der bekanntesten Zeitung des Landes, in dem es hieß, dass bei einer gerichtlichen Untersuchung der Telefondaten seiner Sekretärin im Zusammenhang mit einem anderen Fall Beweise für Gewalt des ehemaligen Präsidenten gefunden worden seien. Nachdem die ehemalige First Lady offiziell Anzeige erstattet hatte, veröffentlichten die Medien rasch und ohne ihre Zustimmung Fotos von ihr mit blauen Flecken. »Ich wollte nie, dass ein solches Foto von mir veröffentlicht wird. Welche Frau möchte so in jedem Fernsehprogramm und in den Medien auf der ganzen Welt zu sehen sein?«, erklärte sie später.

In einem Medieninterview wies Fernández die Anschuldigungen zurück, unterstellte, dass »jemand« seine Expartnerin dazu angestiftet habe, ihn zu verklagen, und stellte Yáñez’ emotionale Gesundheit in Frage. »Ich habe nie eine Frau geschlagen. Lassen Sie die Justiz entscheiden«, sagte der ehemalige Präsident, der daran erinnerte, dass während seiner Amtszeit (2019–2023) mehrere Reformen für die Frauen in Argentinien angestoßen worden waren. So wurden unter anderem Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert, das Ministerium für Frauen, Gender und Diversität geschaffen, Müttern Rentenansprüche gewährt, die Frage der Pflege angegangen und verschiedene Programme gegen patriarchale Gewalt entwickelt.

Nach dem Bekanntwerden der Klage gegen Fernández äußerte sich Milei in den sozialen Netzwerken über die seiner Meinung nach »progressive Heuchelei«. Der Präsident, der sich schon oft gegen den Feminismus ausgesprochen hat, nutzte die Gelegenheit, um diese Errungenschaften als Betrug zu bezeichnen und einige seiner Regierungsmaßnahmen zu rechtfertigen, wie etwa die Schließung des genannten Ministeriums. Interessanterweise warb sein Sprecher für die »Linie 144«, einen von Fachleuten besetzten Kommunikationsdienst, der Menschen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, Aufmerksamkeit und Beratung bietet. Einen Dienst, dem die Regierung Milei kurz nach ihrem Amtsantritt kräftig die Mittel gekürzt hatte.

In einem Gespräch mit junge Welt verriet eine ehemalige Beschäftigte von »Linie 144«, dass die Hälfte des Personals entlassen worden sei, was den Dienst erheblich beeinträchtigt habe. »Jede Anruferin bekommt die Zeit, die sie braucht, so dass sich die Beschäftigten manchmal mehrere Stunden mit einer einzigen Situation befassen müssen. Ohne genügend Personal können wir nicht schnell und effizient auf die eingehenden Fälle reagieren, was dazu führt, dass sich die Anrufe in der Warteschleife stauen.« In ihrem Büro seien 23 Personen beschäftigt gewesen, jetzt nur noch sieben.

Kurz vor Bekanntwerden der Vorwürfe an Fernández hatte Amnesty International (AI) ein Schreiben an die Interamerikanische Menschenrechtskommission und die Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen gerichtet, in dem die Organisation die von der Regierung Milei vorgenommenen Kürzungen anprangert. »Zum ersten Mal seit 37 Jahren fehlt es in Argentinien an institutioneller Unterstützung für Maßnahmen zur Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt. Das geschieht in einem Kontext, in dem alle 32 Stunden ein Femizid registriert wird«, warnte AI.

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