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Aus: Ausgabe vom 16.08.2024, Seite 16 / Sport
Sportpolitik

Im Spitzensport gescheitert

Die mittelprächtige Medaillenbilanz der deutschen Athleten in Paris und ihre Gründe. Ein Kommentar von
Von Andreas Müller
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»Wie kommen wir an die Talente ran?« Wer den Leistungssport fördern will, muss beim Breitensport ansetzen (Basketballspiel BRD vs. Serbien, 10.8.2024)

Wie alle vier Jahre saßen die deutschen Olympioniken brav in den TV-Studios, ohne diese seltenen Gelegenheiten zu nutzen, ihrem Ärger über die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung ihrer Leistungen und die ihrer Trainer freien Lauf zu lassen. Wenigstens der frischgebackene Olympiasieger im Viererkajak, Max Rendschmidt, ging couragiert voran und ließ Kanzler Olaf Scholz im persönlichen Gespräch regelrecht auflaufen. Wichtig sei ihm nicht primär, dass Politiker fürs nächste Wahlergebnis an der olympischen Regattastrecke zu Besuch sind, sondern dass seine Familie und Freunde mitfiebern, sagte Rendschmidt. Der Bundeskanzler solle lieber Entscheidungen zugunsten des Sports treffen, als seine Liebe zum Sport nur dann zu entdecken, wenn es für deutsche Athleten Medaillen gebe. Wenn Kanuten um deutsche Meistertitel oder EM-Plaketten paddeln, hätten Politiker stets andere Termine. Die Kritik saß. So sehr, dass ein Regierungssprecher umgehend schlichtend eingriff und gegenüber dpa einige offizielle Floskeln von sich gab: »Sport ist ein wichtiger Bestandteil unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens – das gilt für den Breiten- und Leistungssport gleichermaßen. Der Bundesregierung ist es deshalb wichtig, Sport und damit die Athletinnen und Athleten zu fördern.«

Ernüchternde 33 Medaillen für die deutsche Delegation und ein zehnter Platz im Nationenranking nach Abschluss der Spiele haben auch ihr Gutes. Der Medaillenspiegel ist zwar kein alleingültiger Maßstab, signalisiert aber für jedermann den Abwärtstrend im deutschen Spitzensport, was dann umgehend eine neue Diskussion zum Thema provozierte. Die Olympioniken, die mit ihren Leistungen zumindest ahnen lassen, wie es um den Sport insgesamt in diesem Land bestellt sein muss, liefern für diese Debatte lediglich den Anlass. »Wir haben 82 Millionen Einwohner. Es kann nicht sein, dass wir keine Sporttalente haben. Die hatten wir früher, die haben wir heute. Wir müssen uns fragen, wie kommen wir an die ran?« fragte etwa Jörg Bügner, Sportvorstand im Deutschen Leichtathletikverband, und verwies damit auf den Zusammenhang zwischen »großem« und »kleinen« Sport. Überdies beklagte er die im Spitzensport überbordende Bürokratie, unter der ebenfalls die Vereine schwer leiden. »Wir schreiben Excel-Tabellen, die anderen trainieren – das kann nicht sein.«

Für Michael Groß, den dreimaligen Schwimmolympiasieger, gibt es nach dem jüngsten olympischen Auftritt zwei Grunderkenntnisse: »Wir sind keine Sportnation mehr.« Und: »Im Spitzensport ist der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) gescheitert«, sagte der frühere Spitzenschwimmer der Westdeutschen Zeitung (9.8.2024). »Ich habe zuletzt zahlreiche Grundschulen besucht. Begeisterung für den Sport, glänzende Augen der Kinder, ausnahmslos, aber 50 Prozent der Grundschüler können nicht schwimmen, eine Rolle vorwärts können sie auch nicht. Alarmierend. Wir brauchen einen Innovationsschub, eine radikale Trendumkehr, falls wir unsere große Sporttradition wiederbeleben wollen.«

Was nichts anderes heißen kann, als die olympische Nachschau ausgehend von den zwölf Gold-, 13 Silber- und acht Bronzemedaillen mit der Betrachtung des Sports insgesamt, mit der Situation bei den Trainern, mit dem Zustand der Vereine, der Sportanlagen und des Sportunterrichts zu verbinden und daraus ehrliche Schlüsse zu ziehen. Die schwersten Mängel liegen weit im Vorfeld olympischer Finals. Entsprechend wird das Dressurpferd vom falschen Ende aufgezäumt, wenn nun nach höheren Prämien für künftige Medaillengewinner gerufen wird – am besten eine Million Euro für jeden Olympiasieg, steuerfrei. Das mag eine Schlagzeile bringen, für den Weg zurück zur großen Sportnation ist das kein Rezept. Der Sport und seine Leistungen müssen in der Gesellschaft glaubhaft wertgeschätzt werden und Sport und Bewegung, für jedermann erschwinglich und in würdiger Umgebung, zum täglichen Leben gehören.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (15. August 2024 um 21:59 Uhr)
    »Im Spitzensport gescheitert«? Versteh’ ich nicht. Man ist doch auf halbem Wege. Bei Olympia könnte man mit virtuellen Spielen anfangen. a) Neoliberaler Ansatz: Rang und Medaillen werden an die Höchstbietende versteigert. Außer ein paar Servern, ein bisschen Software mit den Rechten daran und etwas Netzwerk braucht man nichts. b) Demokratischere Variante: Zufallsgeneratoren erzeugen Ergebniszahlen (Zeiten, Weiten, Höhen, Punkte …), jeder »Spin« kostet, wer mehr Spins kauft, hat höhere Chancen, der Aufwand dafür entspricht a). Für die nicht verbrauchten öffentlichen Olympia-Milliarden könnte das eine oder andere Schwimmbad saniert oder neu gebaut werden, sollten sie nicht im Doppelwumms verschwinden.

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