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Aus: Ausgabe vom 17.08.2024, Seite 1 / Titel
Rüstungsstrategie

Wehrhaft werden

Medienbericht über neue Rüstungsstrategie der Bundesregierung. USA liefern 600 »Patriot«-Raketen nach Deutschland
Von Arnold Schölzel
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Kriegsexport läuft schon: Deutsche und ukrainische Soldaten beim Training an »Patriot«-Raketen

Weiterhin gute Nachrichten für die deutsche Kriegstüchtigkeit, pardon: »Kriegstüchtig« taucht im neusten rüstungspolitischen Dokument der Bundesregierung nicht mehr auf und wurde durch »wehrhaft« ersetzt. Das berichtete am Freitag das Handelsblatt. Der Zeitung lag der Entwurf für die »Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie« (SVI) der Bundesregierung vor. In der vergangenen Woche hatte die Zeitung bereits gemeldet, dass darin erwogen wird, sich an Rüstungsunternehmen zu beteiligen. Über die SVI soll im September im Kabinett beraten werden.

Zugleich wurde bekannt: Am Donnerstag abend MESZ unterrichtete das US-Außenministerium den US-Kongress über seine Entscheidung, grünes Licht für die Lieferung von bis zu 600 »Patriot«-Flugabwehrraketen (PAC-3 MSE) an Deutschland zu geben. Die Waffe kann taktische ballistische Raketen und Marschflugkörper abwehren. Geschätzte Kosten: fünf Milliarden US-Dollar (etwa 4,6 Milliarden Euro), Hauptauftragnehmer: Lockheed Martin. Die Bundeswehr verfügt angeblich gegenwärtig über neun »Patriot«-Systeme, drei wurden laut Medien an die Ukraine abgegeben. Im Kalten Krieg befanden sich 36 solcher Systeme im Bestand. Wann die neuen Raketen geliefert werden, ist unbekannt.

Und Deutschland liefert auch in umgekehrte Richtung: Bereits am Mittwoch hatte Rheinmetall verkündet, für eine fast eine Milliarde US-Dollar den US-Rüstungszulieferer Loc Performance zu übernehmen. Rheinmetall hat bereits einige Fabriken in den USA und kooperiert mit Lockheed Martin. Am Freitag zitierte die Süddeutsche Zeitung Rheinmetall-Chef Armin Papperger mit den Worten: »Die Vereinigten Staaten werden für uns ein starker Kernmarkt in den kommenden Jahren sein.« Konkret geht es demnach um den Nachfolger des Schützenpanzers »Bradley« (4.000 Exemplare für rund 45 Milliarden US-Dollar) und um 40.000 Militär-Lkw für etwa 16 Milliarden Dollar.

Mit der SVI soll nicht nur die Zusammenarbeit von Staat und Kriegsindustrie gestärkt werden, sondern vor allem Rüstungsexport erleichtert werden. Im Koalitionsvertrag war 2021 noch eine strengere Ausfuhrkontrolle vorgesehen, jetzt sollen sich nach dem Wunsch des Industrieverbandes BDI Waffenkäufer auch direkt an den deutschen Staat wenden können. Laut Handelsblatt werden in der SVI zwölf militärische »Schlüsseltechnologien« genannt, die von der Bundesregierung besonders gefördert werden sollen – bis hin zum Unternehmenseinstieg des Bundes »ausnahmsweise in besonderen strategischen Fällen«. Vorbehalte der FDP seien ausgeräumt.

Das Ziel der SVI wird in dem 14seitigen Papier so bezeichnet: »Für die Landes- und Bündnisverteidigung wie auch die fortgesetzte militärische Unterstützung der Ukraine muss Deutschland angesichts der aktuellen Bedrohungslage schnellstmöglich wehrhaft werden.« Zu den Schlüsseltechnologien von nationaler Bedeutung zählt die Bundesregierung demnach militärische IT- und Kommunikationstechnologien, künstliche Intelligenz, den Marineschiffbau, gepanzerte Fahrzeuge, Sensorik, den elektromagnetischen Kampf und den Schutz, zum Beispiel durch die Entwicklung von Panzerungen. Mit EU-Partnern sollen Quantentechnologie, Flugkörper und Flugkörperabwehr, Raumfahrttechnologien, Munition und unbemannte Systeme wie Drohnen entwickelt werden. Hinzu sollen erleichterte Genehmigungsverfahren beim Bau neuer Rüstungsfabriken, Prämien für Firmen, Änderungen des Kriegswaffenrechts sowie andere Punkte geprüft werden. »Kriegstüchtig« klingt neben »wehrhaft« veraltet.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (16. August 2024 um 20:52 Uhr)
    Wehrhaft werden? Führende Personen betonen seit langem, die BRD sei wehrhaft. Mittels Beschaffung von ZwangsarbeiterInnen hat man sich in Deutschland auch früher schon an Rüstungsunternehmen beteiligt.

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