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Aus: Ausgabe vom 17.08.2024, Seite 5 / Inland
Keine Rendite mit der Miete

Doppelte Wohnraummisere

Bundeskabinett erhöht Wohngeld – ein bisschen. Mieterverband fordert hingegen Umsetzung von Mietrechtsreformen
Von Oliver Rast
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Mieterbewegung on Tour: Protestierer adressieren mittelkleinen Ampelpartner SPD vor der Bundesparteizentrale in Berlin

Die Wohnungsmisere bleibt akut – und Baugenehmigungen bleiben im Keller. Nicht nur in Ballungszentren, auch in deren Speckgürtel, verlautbarte der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie am Freitag gegenüber jW. Das Statistische Bundesamt präsentierte gleichentags die Zahlen für Juni: Demnach waren nur noch 17.600 Wohnungen im Neu- und Umbau, im Vergleich zum Vorjahresmonat ein Minus von 19 Prozent. Selbst der Lobbyverband der Bauindustriellen spricht von einer »vielerorts herrschenden Wohnungsnot«, die ein Jahr vor der Bundestagswahl zum »sozialen Sprengstoff« werde.

Dazu passt: Knapp zwei Millionen Personenhaushalte in der BRD dürften im kommenden Jahr Wohngeld erhalten. Kaum verwunderlich, denn Kosten für Lebensunterhalt, für Energie und nicht zuletzt für Wohnraum werden erhöht – alles wird halt teurer, teils unbezahlbar. Das fällt selbst der Ampelkoalition auf. Bloß, mehr als eine milde Gabe ist nicht drin. Am Dienstag hatte die Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) erklärt: »Wir erhöhen das monatliche Wohngeld zum 1. Januar 2025 um durchschnittlich 15 Prozent bzw. 30 Euro.« Damit sei Wohnen für Millionen Rentnerinnen und Rentner, Familien und Arbeitende weiterhin bezahlbar. Wirklich? Eher eine Aussage vorbei an der Lebenswirklichkeit von Millionen.

Davon abgesehen, Wohngeld ist was? Ein vom Bund und den Ländern je zur Hälfte getragener Zuschuss zu den Wohnkosten. Personen mit geringem Lohn und Gehalt können jenen per Antrag erhalten. Bewilligt wird der Zuschuss Anspruchsberechtigten im Regelfall für zwölf Monate. Die Höhe des Wohngelds hängt von der Zahl der Haushaltsmitglieder, dem Einkommen und der Miete ab. Generös? Mitnichten. Im Wohngeldgesetz ist eine sogenannte regelmäßige »Dynamisierung im Zweijahresrhythmus« fixiert. Die vergangene Erhöhung war am 1. Januar 2023 mit Inkrafttreten des »Wohngeld-plus-Gesetzes« erfolgt. Mittels staatlichen Zuschusses für Wohnraum würden Preis- und Mietpreissprünge »abgefedert«. Ein ganz klein wenig wenigstens.

Beispiel Hessen: Ende des zurückliegenden Jahres haben rund 73.000 hessische Haushalte Wohngeld bekommen, berichtete die Frankfurter Rundschau am Mittwoch. »Das bedeutet eine Zunahme um 71 Prozent bzw. 30.300 Haushalte gegenüber dem Vorjahr.« Der durchschnittliche Anspruch pro Monat stiege im Vergleichszeitraum von 220 auf 343 Euro, ein Plus von 56 Prozent. Ein Grund für den Anstieg: Mit dem »Wohngeld plus« wurden die Einkommensgrenzen für Berechtigte erhöht. Beispiel des Beispiels: Bei einer vierköpfigen Familie etwa im Main-Taunus-Gebiet mit üppigen Mieten von zirka 3.700 Euro auf zirka 5.100 Euro.

Was sagen Mieterverbände? Nicht nur wohngeldberechtigte Haushalte litten unter hohen Wohnkosten, »sondern mittlerweile ist jeder dritte Mieterhaushalt durch seine Wohnkosten überlastet«, betonte der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, anlässlich der Ankündigung von Ministerin Geywitz. Und: Alleine das Wohngeld immer weiter zu erhöhen, löse keinesfalls die gewaltigen Probleme auf den überhitzten Mietwohnungsmärkten. Ferner dürfe die Wohngelderhöhung nicht als Argument dafür dienen, »dringend notwendige mietrechtliche und wohnungspolitische Reformen auf die lange Bank zu schieben«, so Siebenkotten weiter. Und sowieso: Besser seien im Koalitionsvertrag vereinbarte Mietrechtsreformen umzusetzen, mit jenen Mieter besser vor Wohnkostenexplosionen geschützt würden. »Dann müssten sie auch kein Wohngeld beantragen.«

Das sieht Caren Lay (Die Linke) ähnlich. Die Wohngelderhöhung sei notwendig, weil die Ampel die Mieten nicht stoppe, wurde die mieten- und wohnungspolitische Sprecherin ihrer Bundestagsgruppe am Donnerstag in einer Mitteilung zitiert. »Um zu verhindern, dass Wohnungskonzerne das höhere Wohngeld durch weitere Mieterhöhungen abgreifen, braucht es einen bundesweiten Mietendeckel.« Zudem müssten mehr dauerhaft bezahlbare soziale, kommunale und gemeinnützige Wohnungen gebaut werden. »Auch hier versagt die Bundesregierung.« Anders ausgedrückt: Miseren bleiben, beim Wohnraum, beim Bau.

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