Pogrom in Westbank
Von Gerrit HoekmanAm Donnerstag abend haben nach Angaben israelischer Sicherheitskreise mehr als 100 maskierte und bewaffnete israelische Siedler in der von Israel besetzten Westbank das Dorf Dschit östlich von Kalkilja angegriffen. Dabei ist ein 23 Jahre alter Palästinenser erschossen worden. Ein weiterer wurde lebensgefährlich verletzt, meldete die amtliche palästinensische Nachrichtenagentur WAFA. Die Siedler steckten außerdem mindestens vier Häuser und sechs Fahrzeuge in Brand. »Dies ist reiner Siedlerterrorismus – unterstützt vom Staat und gesponsert von unserer Regierung«, schrieb die israelische NGO »Peace Now« am Donnerstag auf X. Die Menschenrechtsorganisation spricht von einem »Pogrom«.
Die geistigen Brandstifter sitzen tatsächlich im Kabinett von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu: Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit, und Finanzminister Bezalel Smotrich. Der »Sicherheitsminister« wusch noch Freitag nacht seine Hände in Unschuld. Die palästinensischen Einwohner des Dorfes und der militärische Befehlshaber der israelischen Streitkräfte, Herzi Halewi, seien dafür verantwortlich. »Ich habe dem Stabschef heute abend gesagt, dass es zu Vorfällen wie heute Nacht führt, wenn Soldaten nicht dabei unterstützt werden, auf Terroristen zu schießen, die Steine werfen«, zitierte die Onlinezeitung Times of Israel den ultrarechten Scharfmacher Ben-Gvir. »Trotzdem ist es eindeutig verboten, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen.«
Sein Bruder im Geiste, Smotrich, verurteilte zwar jetzt die Gewalt, hatte aber am Mittwoch deutlich gemacht, dass der israelische Landraub weitergehen wird: »Keine antiisraelische und antizionistische Entscheidung wird den Siedlungsbau stoppen«, sagte Smotrich auf X. »Wir werden weiterhin gegen das gefährliche Projekt der Schaffung eines palästinensischen Staates kämpfen, indem wir Fakten vor Ort schaffen.« Mehr als 700.000 jüdische Siedler leben mittlerweile völkerrechtswidrig im Westjordanland und im besetzten Ostjerusalem.
Die Gewalt der Siedler ist längst Alltag. Sie bedrohen und vertreiben palästinensische Bauern von ihren Feldern, vernichten Olivenbäume, zerstören Landmaschinen, legen Feuer in Moscheen. Die Besatzungstruppen sehen meist tatenlos zu und greifen auf seiten der Kolonisten ein, wenn sich die Palästinenser wehren. Die Gewalt sei Teil von Israels »Politik der ethnischen Säuberung«, stellte die palästinensische Politikerin Hanan Ashrawi laut Al-Dschasira am Donnerstag fest. Die »israelischen Siedlerschläger« würden »bewaffnet, finanziert, geschützt« und »im allgemeinen von der Armee und der Regierung unterstützt«.
Pflichtschuldig verurteilen israelische Politiker die Gewalt, nur Taten folgen nie. »Während unsere Truppen an der Front kämpfen und den Staat Israel verteidigen, hat eine Gruppe radikaler Individuen einen Aufstand angezettelt und unschuldige Menschen angegriffen«, schrieb etwa Verteidigungsminister Joaw Gallant am Freitag auf X. »Sie repräsentieren nicht die Werte der in Samaria lebenden Gemeinschaften. (…) Gewalttätige, radikale Aufstände sind das Gegenteil aller Grundsätze und Werte, die der Staat Israel hochhält.« Samaria oder hebräisch Schomron nennen Zionisten und Ultranationalisten den Norden der Westbank.
»Ich bin entsetzt über den gestrigen gewaltsamen Angriff der Siedler auf Palästinenser im Westjordanland. Diese Angriffe müssen aufhören, und die Verbrecher müssen zur Rechenschaft gezogen werden«, schrieb auch der US-Botschafter in Israel, Jacob Lee, am Freitag auf X. Tadel allein wird die Siedler allerdings nicht stoppen. Besonders der Westen hat viel zu lange tatenlos zugeschaut und Israel den Eindruck vermittelt, außer verurteilenden Worten nichts fürchten zu müssen. Das Ergebnis ist die schleichende Inbesitznahme der völkerrechtswidrig besetzten Gebiete. Die Westbank ist mittlerweile ein Flickenteppich, der einen souveränen palästinensischen Staat fast unmöglich macht. Und genau das war und ist Israels Ziel und das der militanten Siedler.
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