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Aus: Ausgabe vom 17.08.2024, Seite 10 / Feuilleton
HipHop

Der Texter ist der Star

Auf seinem aktuellen Album phantasiert Rapper Eminem vom Tod seines Alter egos Slim Shady
Von Thomas Salter
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Sechssilbige Reime, Punchlines: Eminem

Superman und Clark Kent, Spiderman und Peter Parker, Slim Shady und Eminem – das Verhältnis von Superhelden und Rappern zu ihren Alter egos ist kompliziert. Dass der US-Superstar Eminem auf seinem zwölften Studioalbum »The Death of Slim Shady (Coup de ­Grâce)« über den Tod seines berüchtigten Alias phantasiert, sollte also nicht überraschen. Nur stellt sich im Lauf des Albums die Frage: Wer tötet hier wen?

Denn wie in einem guten Comic, aus dem das Superheldengenre ja stammt, ist die Platte voll überraschender Wendungen – und am Ende bleibt eine gewisse Offenheit, falls der beliebte Charakter doch noch für ein späteres Heft wiederauferstehen muss.

Außerdem: Auch wenn Eminem hier klare Tötungsabsicht äußert – er weiß, wie sehr er Slim Shady braucht. Schließlich hat er ihm seinen ersten Hit »My Name Is« zu verdanken, mit dem Eminem diesen drogenaffinen Loser mit Vorliebe für Mutterwitze und andere Grenzüberschreitungen 1999 weltweit etablierte. Das dazugehörige Album »Slim Shady LP«, produziert von Gangsta-Rap-Legende Dr. Dre, katapultierte den weißen Eminem nach Jahren im Untergrund von Detroit in die Sphären des Rap-Superhelden-Universums.

Aber auch jetzt, nach Jahren im Olymp, ist ihm Slim Shady einfach zu nützlich, etwa im Kampf gegen andere Superhelden. Denn Eminem legt sich im Lauf des neuen Albums sowohl mit Spiderman als auch mit Superman an. Oder besser gesagt: mit ihren Schauspielern.

»Tobey« über den Spiderman-Star Tobey Maguire ist dabei noch weitgehend spielerisch. Aber dem verstorbenen Superman-Darsteller Christopher Reeve widmet er den Track »Brand New Dance« und fordert auch ­Reeve auf gefälligst mitzutanzen – der Schauspieler war seit einem Reitunfall querschnittsgelähmt. Solche Gemeinheiten sind nun mal Eminems Superkraft – neben seinen unbestreitbaren Reimfähigkeiten. In einem Interview mit der berühmten US-Fernsehsendung »60 Minutes« prahlte er mal, er könne fast alles reimen. Kraftprobe gefällig? »It’s a brand new dance / This is my Chris anthem, I’m / Givin’ Chris ­Reeves his chrysanthemums«, zu deutsch: Ein neuer Tanz, meine Chris-Hymne, ich gebe Reeve seine Chry­santheme – ein Vier-Silben-Reim, der sogar mit der floristischen Kenntnis glänzt, dass Chrysanthemen eine beliebte Beerdigungsblume sind.

Aber wozu braucht der Silbensuperheld Eminem dann Slim Shady? Um sich von Provokationen wie dieser zu distanzieren. Im Skit vor dem Track hören wir Slim Shady Eminem irgend etwas einflößen und die Reeve-Thematik einführen. Als Eminem panisch fragt, was er vorhat, antwortet Shady: »I’m trying to get us canceled.«

Künstlerischer Doppelselbstmord also. Und auf dem Album gibt es davon gleich mehrere ernstzunehmende Versuche. Denn natürlich will sich Eminem auch nicht vom Tabuthema Trans fernhalten und pickt sich die streitbare Superheldin Caitlyn Jenner raus: »But when it comes to givin’ it to anybody, boy, is Bruce generous / And I’m ’bout as much of a boy as Bruce Jenner is / ’Cause I’m not a boy, I’m a man, bitch, man-bitch / My speech is free as his choice to choose gender is.« Sechssilbige Reime, Punchlines, die genau da landen, wo sie hinwollen: unter der Gürtellinie.

Komplexe Silbensudokus wie dieses bestimmen das ganze Album, man kann den Texten lauschen wie einem Hörspiel – dabei fällt dann auch nicht ganz so auf, dass die Beats meist die Kreativität von Marvel-Massenware haben. Um im Comicbild zu bleiben: Der Texter ist hier der Star, nicht der Zeichner. Aber ohne seine zweite Persönlichkeit, mit der er sich battlen kann, würde Eminem dafür inzwischen vielleicht die Motivation fehlen. Der afroamerikanische Stand-Up-Komiker Chris Rock stellte mal fest, dass kein Rapper sich mehr auf Beef mit Eminem einlässt. Nicht weil er weiß ist, sondern weil er tödlich ist. Der gealterte Superheld des Rap, Melle Mel von Grandmaster Flash and The Furious Five, versuchte es 2023 – scheiterte, entschuldigte sich danach sogar öffentlich für seinen fehlgeschlagenen Diss.

Wenn also mit »The Death of Slim Shady« Eminems letzter verbliebener lyrischer Gegenspieler jetzt wirklich das zeitliche segnet, ist vielleicht auch Eminem selbst in Gefahr. Aber wie gesagt: In der Welt der Superhelden ist der Tod selten endgültig. Ruhe in Frieden, Slim Shady. Erst einmal.

Eminem: »The Death of Slim Shady (Coup de Grâce)« (Shady Records/Aftermath/Interscope)

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