Der Unbeugsame
Von Hagen BonnAls Erich Mühsam (1878–1934) für den Ersten Weltkrieg gemustert wurde und man ihm mitteilte, dass er dienstuntauglich sei, urteilte er später zu diesem Bescheid: »Keine Engelsmusik hätte mir lieblicher in die Ohren tönen können.« So klang dann auch sein verfasstes »Kriegslied«: »Sengen, brennen, schießen, stechen, Schädel spalten, Rippen brechen, spionieren, requirieren, patrouillieren, exerzieren, fluchen, bluten, hungern, frieren … So lebt der edle Kriegerstand …« Der unbeugsame Anarchist, Kriegsgegner und Antifaschist hinterließ der Nachwelt ein vielfältiges und hochaktuelles Œuvre. Und aus diesem entspann sich letzten Donnerstag in Gedenken an seinen 90. Todestag am 10. Juli in der Maigalerie der jungen Welt ein literarisch-musikalischer Abend.
Zu Beginn der Veranstaltung wies der stellvertretende Chefredakteur der jungen Welt, Nick Brauns, darauf hin, dass es gerade in kriegstüchtigen Zeiten wie den unseren erkennbare Bestrebungen gibt, den Antimilitaristen Mühsam für die bürgerliche Soße zu vereinnahmen. So geschehen, als SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur kürzlichen Gedenkveranstaltung Kränze ablegen ließen. Was hätte Mühsam diesen Staatsmilitaristen wohl zugerufen?
Spätestens seit 1999 (NATO-Krieg gegen Jugoslawien) sind beide Parteien kriegstauglich, und das von der gleichen Sippe eingeführte Hartz-IV-Regime feiert nächstes Jahr seinen zwanzigsten Geburtstag. Denen hätte unser Mühsam gerne mal einen Kranz deftiger Reime hingeschmissen. Entsprechend begann dann auch der Abend in der Maigalerie. Die musikalische Filmcollage »Der Mahner«, von Ralf »Trotter« Schmidt zu Texten von Erich Mühsam inhaltlich gestaltet und von Jim Rakete ins Bild gesetzt, strahlte von der Galeriewand. Die Lieder, Szenen und Texte Mühsams beeindruckten eine knappe Stunde lang die Gäste. Und die Verwandlung von Ralf »Trotter« Schmidt zum leibhaftigen Mühsam gelingt in dieser Collage überraschend authentisch. Später frage ich den Mühsam-Kenner, was wohl »Der Mahner« uns heute raten würde. »Kämpft für eure Freiheit, sorgt immer dafür, dass es nie Krieg gibt«, gab Trotter zurück. Als dann zum spendierten Buffet gerufen wird, ist bei Speis und Trank Gelegenheit, sich auszutauschen und den Prozesskostenfonds der jungen Welt mit einer Spende aufzufüllen. Besser kann man sein Geld gegen die Klassenjustiz nicht anlegen! Aufgetragen wurde das Buffet von Susanne Misere, die manches Lob erntete und meinte: »Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie meine Küche jetzt aussieht.« Mir verriet sie später noch, dass allein der Einkauf für die mehr als sechzig Gäste drei Tage in Anspruch nahm. Au Backe.
Im letzten Drittel des Abends orientiert sich die literarisch-musikalische Livedarbietung an den Lebensdaten von Erich Mühsam. Der Auftritt des Trios mit Isabel Neuenfeldt (Akkordeon, Gesang, Rezitation), unserer Susanne Misere und Peter Bäß (Rezitation) lässt uns, wie schon bei Ralf »Trotter« Schmidt, die bildhafte Drastik des Meisters erleben. Seinen Witz, seine polemische Treffsicherheit, aber auch seine Traurigkeit, die immer wieder in Hoffnung und Kampfeswille umschlägt. Wir treffen auf genau den nimmermüden Zeitgenossen, den wir für unsere Tage gut gebrauchen könnten. Als unerbittlich unbequemer Kritiker der Weimarer Republik wurde er recht schnell zum Intimfeind der aufsteigenden Nazis. Als Hitler und Konsorten noch in den Startlöchern ihrer Verbrecherkarrieren standen, hatte der feinfühlige Mühsam in den fünf Monaten der Jahreswende von 1922/23 den Namen Adolf Hitler glatte 43mal in seinem Tagebuch erwähnt. Ich wünschte, diesen Riecher hätte das deutsche Volk von heute auch nur ansatzweise. Das würde uns den dritten Weltkrieg ersparen. Mühsam blieb nichts erspart. Der Anarchist jüdischer Herkunft wurde schon im Februar 1933 verhaftet und eingesperrt. 16 Monate später tötete ihn die SS im KZ Oranienburg.
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