75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Donnerstag, 19. September 2024, Nr. 219
Die junge Welt wird von 2939 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 19.08.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Mumia Abu-Jamal

»Möge diese Bewegung weiterwachsen!«

USA: Mitstreiter von Mumia Abu-Jamal kämpfen unermüdlich für die Freilassung des politischen Gefangenen
Von Jürgen Heiser
3A_prison radio.jpg
Ein Leben in Gefangenschaft: Mumia Abu-Jamal

Welche »Wege zur Freiheit« gibt es für den seit fast 43 Jahren unschuldig inhaftierten Afroamerikaner Mumia Abu-Jamal? Und wie kann man die Gefahr abwenden, dass der erkrankte 70jährige in der Haft stirbt, ohne je nach Hause zurückzukehren? Solche und ähnliche Fragen haben Teilnehmer eines Onlineseminars des in Pennsylvania ansässigen Abolitionist Law Center (ALC) Anfang August diskutiert. Laut der gemeinnützigen Organisation war »die Unterstützung der Bemühungen um die Freilassung eines der am längsten inhaftierten politischen Gefangenen in diesem Land« im Seminar deutlich spürbar.

In seiner Audiobotschaft würdigte der inhaftierte Journalist und ehemalige Mitstreiter der Black Panther-Bewegung die Arbeit des ALC gegen das Problem des Tods durch Haft, das immer mehr Gefangene betrifft: Die »andere Todesstrafe« für all diejenigen, die zu lebenslanger Haft verurteilt worden sind und ohne jede Perspektive, noch zu Lebzeiten freizukommen, alt und krank in der Haft sterben. Dagegen kämpfe das ALC, »bis die Arbeit getan ist«, sagte Abu-Jamal. Weil sie entschlossen seien, das Phänomen »ein für allemal zu beenden«, arbeiteten die Referenten der Veranstaltung zusammen: Der juristische Leiter des ALC, Rechtsanwalt Bret Grote, sowie ALC-Geschäftsführer Robert Saleem Holbrook, Abu-Jamals Koautorin Jennifer Black, mit der er kürzlich das neue Buch ›Be­neath the Mountain‹ herausbrachte, sowie der Journalistikprofessor Linn Washington. »Durch die Arbeit des ALC wird die Abschaffung dieses Knastsystems Wirklichkeit«, so Abu-Jamal weiter. »Möge diese Bewegung weiter wachsen!«

Linn Washington betonte, dass die Verurteilung Abu-Jamals weltweit als Unrecht eingestuft werde. Und weltweit bedeute, »dass sich Menschen von Ghana über Japan bis nach London für Mumia einsetzen«. Anwalt Grote rief ins Gedächtnis, dass vor dem Obergericht Philadelphias seit 2021 ein Berufungsantrag des Verteidigungsteams anhängig ist. Dieser stützt sich auf neue Unschuldsbeweise, die erst 2018 in verschwundenen Prozessakten in einem Lagerraum der Staatsanwaltschaft gefunden worden waren. Die neuen Dokumente böten die einzige Chance, Abu-Jamals Fall vor Gericht neu aufzurollen, da sie belegten, »wie die Anklagebehörde ›Beweise‹ konstruiert habe, um das Urteil abzusichern«. Bis heute arbeite die Justiz jedoch mit allen Tricks, um Abu-Jamals Berufungsrechte zu negieren.

Dass die Solidarität für Abu-Jamal international sein müsse, hob Jennifer Black hervor. Sie erinnerte an das erfolgreiche Aufhebung des ersten Hinrichtungsbefehls gegen Abu-Jamal 1995, der damals noch zum Tode verurteilt war. Wie in vielen anderen Ländern hatten auch in London Hunderte tagelang vor der US-Botschaft demonstriert, bis der Befehl des Gouverneurs, Abu-Jamal mit der Giftspritze zu ermorden, gerichtlich aufgehoben wurde.

Die Frage, ob der Kampf für die Freilassung Abu-Jamals sich an der Verteidigung der Menschenrechte orientieren müsse und inwiefern eine Beendigung der lebenslangen Haft aus humanitären Gründen möglich ist, wurde heiß diskutiert. Allerdings ist der Spielraum begrenzt, denn wie Grote hervorhob, ist eine Freilassung aus humanitären Gründen oder »aus Barmherzigkeit«, wie es in den USA heißt, in Pennsylvania gesetzlich nicht vorgesehen. Lediglich ein als »medizinischer Transfer« bezeichneter Mechanismus der Verlegung in ein Hospiz oder Pflegeheim sei möglich, wenn eine schwere Erkrankung im Endstadium vorliegt. Das wünsche sich in Abu-Jamals Fall jedoch niemand, so Grote. Auch das Recht auf Reduktion einer lebenslangen Strafe ist laut Geschäftsführer Robert Saleem Holbrook in Pennsylvania Anfang der 1990er Jahre faktisch abgeschafft worden, ganz nach der Devise: »hart gegen Kriminalität«. Erst seit einer Kampagne von Amnesty International seien seit 2018 in 15 Fällen lebenslange Haftstrafen reduziert oder aufgehoben worden. Heute schmoren jedoch in Pennsylvania weiter rund 5.700 Langzeitgefangene ohne Bewährung in ihren Zellen.

»Die Umwandlung von Strafen ist in Pennsylvania eine Lotterie, weil die Politiker danach entscheiden, was ihnen Wählerstimmen bringt«, erklärte Holbrook. Theoretisch könnte zwar auch Abu-Jamals Strafe umgewandelt werden, doch praktisch gelte nach wie vor die berüchtigte »Mumia-Ausnahme«. »Wenn Mumia den Antrag zur Umwandlung seiner Strafe in Betracht ziehen würde, dann würden wir uns sofort damit befassen, obwohl das natürlich schwierig wäre, geradezu eine Schlacht«, so Holbrook. Denn die politischen Gegner und die Polizeibruderschaft FOP würden alles dagegen unternehmen, »Mumia wäre dann noch hundert Jahre im Knast«. Wer Mumia in Freiheit sehen möchte, müsse »die rechtlichen Lücken im System finden«. Das sei der Schlüssel, »da müssen wir attackieren«. Rhetorische Kritik helfe nicht, das sei 1968 okay gewesen, aber heute nicht mehr, »angesichts unserer vielen politischen Gefangenen, die nach 50 Jahren immer noch im Gefängnis sitzen«. Wer ernsthaft etwas erreichen wolle, müsse sich organisieren und Gegenmacht aufbauen. Es sei dringend notwendig, Mumia Abu-Jamal zu befreien, »aber wir müssen bei allem, was wir tun, strategisch und intelligent vorgehen. Es ist einfach keine Zeit mehr für militantes Gequatsche«, so Holbrook, der selbst jahrzehntelang in Haft saß.

Hintergrund: Abolitionist Law Center

»Ich verfolge die Arbeit des Abo­litionist Law Center schon seit langem. Wenn wir mit der Beseitigung des strukturellen Rassismus beginnen wollen, müssen wir auf jeden Fall bei den Gefängnissen anfangen.« Dieses Zitat von Angela Davis ist das Leitmotiv der gemeinnützigen Anwaltskanzlei und Nichtregierungsorganisation, abgekürzt ALC. Ihr Sitz ist in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania, und sie verfolgt gemeinnützige Zwecke als soziales Organisationsprojekt im Interesse der Gemeinden, aus denen inhaftierte Frauen, Männer, Jugendliche und deren Familien stammen. Vor allem Menschen aus schwarzen, hispanischen und indigenen Gemeinden sind von Masseninhaftierung und langen Haftstrafen betroffen. »Abolition«, also die Abschaffung des Knastsystems, das routinemäßig gegen elementare Menschenrechte verstößt, ist die oberste Maxime des ALC.

Das ALC nutzt Rechtsprechung und Gemeindearbeit, um »das Problem der Masseninhaftierung zu beenden, die Betroffenen zu stärken und Menschen zu schützen, die mit dem Strafvollzugssystem in Konflikt geraten«. Dabei stellt das Team »jeden Aspekt des Strafrechtssystems in Frage, also Polizei, Gerichte, Gefängnisse und die Fortsetzung der Überwachung von Haftentlassenen«.

Ehemaligen Häftlingen wie Robert Saleem Holbrook gesteht das ALC eine Expertenrolle zu und betraut sie mit leitenden Aufgaben. »Ich war 16 Jahre alt, als ich verhaftet wurde«, beschreibt Holbrook seine Erfahrung. Nach Erwachsenenstrafrecht zu lebenslang ohne Bewährung verurteilt, überlebte er »Jahrzehnte in Pennsylvanias Staatsgefängnissen, davon 10 Jahre in Einzelhaft«, weil seine Familie und Veteranen der schwarzen Freiheitsbewegung wie Mumia Abu-Jamal ihn unterstützten. Erst 27 Jahre später, im Jahr 2018 kam Holbrook frei, als der Oberste Gerichtshof entschied, »die Verurteilung von Minderjährigen zu lebenslangem Freiheitsentzug ohne die Möglichkeit der Bewährung« sei »grausam, unmenschlich und verfassungswidrig«. Dazu Holbrook: »Ich trat sofort dem ALC bei und wurde 2020 Geschäftsführer«. (jh)

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Mehr aus: Schwerpunkt