Späte Selbstkritik
Von Kristian StemmlerDie Lage der Partei Die Linke als schlecht zu bezeichnen, wäre eine heftige Untertreibung. Bei der Europawahl im Juni kam sie nur noch auf katastrophale 2,7 Prozent, die Umfragewerte sind miserabel, demnächst könnte sie in Sachsen und Brandenburg aus den Parlamenten fliegen. Angesichts dieses Szenarios hat der Parteivorstand das Instrument der Selbstkritik entdeckt. In einem Leitantrag an den Bundesparteitag im Oktober in Halle, den der Vorstand am Sonnabend beschloss, heißt es etwa: »Wir waren nicht gut genug dabei, Skepsis und Verunsicherung genauso anzunehmen wie Ungeduld und Empörung.« Die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan kündigten am Sonntag unterdessen den Rückzug von ihren Ämtern an.
Durchaus zutreffend beschreibt der Leitantrag, aus dem die Nachrichtenagentur AFP zitierte, den Status quo: Die Partei sei »zweifellos in einer gefährlichen, existenzbedrohenden Situation«, heißt es da. Selbstkritisch konstatiert der Vorstand: »Viele, die lange Zeit ihr Vertrauen in uns gesetzt und uns dafür gewählt hatten, haben den Eindruck: Ihr seid mit euch selbst beschäftigt, ihr seid nicht für uns da.« Die Linke habe bei wichtigen Themen »zu oft« nicht mit einer Stimme gesprochen und strittige Fragen »zum Teil nicht klar entschieden«.
Was den inhaltlichen Kurs angeht, spart der Leitantrag einen entscheidenden Punkt aus. Es sei der Linken nicht gelungen, heißt es da, »die Verteilungsfrage zwischen oben und unten wirksam auf die öffentliche Agenda zu setzen und den Unmut über die ›Ampel‹ von links zu besetzen«. Dass viele Wähler aber wegen des fehlenden Engagements der Partei in der Friedensfrage abgesprungen sind, will der Parteivorstand offenbar nach wie vor nicht wahrhaben.
Als Ziel wird ausgegeben, bei der Bundestagswahl in gut einem Jahr wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag einzuziehen. Vom Parteitag in Halle aus wolle der Vorstand die Linke »auf einen neuen Weg führen und wieder erfolgreich machen«. Die Linke müsse der falschen Erzählung entgegentreten, die Asylsuchende zu Sündenböcken für Sozialabbau und soziale Unsicherheit mache.
Die Kovorsitzende Janine Wissler sagte gegenüber AFP, mit dem Leitantrag »definieren wir den Weg, mit dem wir die Linke wieder erfolgreich machen wollen«. Es würden nun »Weichen für die Erneuerung« gestellt. Die Abspaltung des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kommt in dem Antrag nur am Rande vor. In einem Beitrag, der am Samstag im Onlinemagazin der Partei erschien, setzt sich Wissler genauer damit auseinander. Mit dem Wissen von heute sei sie der Meinung, »dass man die Trennung viel früher hätte forcieren müssen«, schreibt sie. Die Folgen der Abspaltung seien »vorerst so verheerend wie absehbar«.
Die Neuaufstellung der Partei soll unter neuer Führung angepackt werden. Wissler und Schirdewan kündigten bei der Sitzung des Vorstands an, beim Parteitag im Oktober nicht erneut für den Vorsitz kandidieren zu wollen. Sie habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, schreibt Wissler in einer im Internet veröffentlichten Erklärung. Sie nehme wahr, dass es »in Teilen der Partei den Wunsch nach einem personellen Neuanfang gibt«. Schirdewan erklärte, er sei der Meinung, »dass unsere Partei in der jetzigen Situation neue Perspektiven und Leidenschaft braucht, um die notwendige Erneuerung voranzutreiben«.
Ob die neue Führung der Friedensfrage mehr Raum gibt, bleibt abzuwarten. Genau dies fordert die Kommunistische Plattform (KPF) in einem Antrag für den Bundesparteitag, der junge Welt vorliegt. Darin heißt es, die Partei müsse sich »uneingeschränkt gegen das in rasendem Tempo vonstatten gehende Wiedererstarken des deutschen Militarismus« wenden. Die »massive Aufrüstung« müsse ebenso beendet werden wie »Waffenlieferungen in alle Welt«, vor allem in die Ukraine und nach Israel. Die KPF wendet sich auch »gerade in Anbetracht eines drohenden nuklearen Infernos« gegen neue US-Waffensysteme auf deutschem Boden. Ein Ende haben müsse auch »die Kriegshysterie in Politik, Medien und Gesellschaft«. Sie sei »Hauptbestandteil der ideologischen Kriegsvorbereitung«. Den Kern dieser Hysterie bilde die Behauptung, »Russland bereite sich darauf vor, NATO-Staaten und somit auch Deutschland anzugreifen«. Es werde »ein Russenhass entfacht, der selbst den aus Zeiten des Kalten Krieges überbietet«.
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Da es noch nie so schwer war geschlechtsneutrale Kritik zu üben, konzentriere ich mich hier auf den männlichen Teil der Doppelspitze. Warum soll der weniger verantwortlich sein, nur weil er wie der Quoten-Trottel schweigend daneben sitzt? Verantwortlich ist er trotzdem genauso wie sie. Verantwortlich für nicht weniger als einen historischen Verrat! Für 'in den Rücken fallen' einer Bewegung, die gegen Krieg, Aufrüstung, Nachrüstung, Waffenlieferungen, Vasallentreue mit Völkermördern war und ist.
Dummheit ist keine Entschuldigung, die Geschichte der Sozialdemokratie kann man nicht übersehen. Kaputt ist kaputt. Die Basis hat es ihnen gesagt, überdeutlich, aber es scheint, dass die Korruption durch die Posten vollkommen blind und empathielos macht für die Realität. Wie sonst sollte es erklärbar sein, dass sogar der Rückzug abgehoben, sozusagen in der VR stattfindet. In der Industrie ist Mobbing strafrechtlich relevant, weil dort der Schaden in € messbar ist, den solche Leute anrichten.
Mit graut vor denen.
Die KPF kann es noch so oft beklagen, aber der »Russenhass (…), der selbst den aus Zeiten des Kalten Krieges überbietet« ist ebenso längst in der Linkspartei dominant geworden (da wird Putin de facto als »Hitler 2.0« abgehandelt) wie der antiarabisch-antimuslimisch-antipalästinensische Philozionismus gemäß der »Staatsräson« dieses Landes. Und sie scheute ja nicht einmal vor ersten Kontakten zur konterrevolutionären und separatistischen »Regierung« von Washingtons Gnaden in »Taipeh« (Taibei) auf der Insel Taiwan zurück. (Unter dem Porträt des größten Kommunistenkillers der chinesischen Geschichte stellte sich die »linke« Bundestagsabgeordnete Lay strahlend den Fotografen! Unkritisiert! Und dann glaubt Schirdewan, China zur Isolierung Putins bewegen zu können!)
Zu all diesen »Fronten« des Weltimperialismus: Ukraine, Nahost und »Strasse von Formosa« von Seiten der Schirdewan, Wissler und Co. verräterisches Schweigen! Keine Selbstkritik in der Sache! Lediglich der Wunsch, jetzt lieber nicht darüber zu reden. Um keine Wähler zu verschrecken und zu vergraulen! So sieht Wählerverrat von links aus! Aber das Wahlvolk riecht den faulen Fisch!