Kishida-Nachfolger gesucht
Von Igor Kusar, TokioKishida Fumio hat das Handtuch geworfen: Das ganze Jahr über war spekuliert worden, ob Japans Premierminister trotz schlechter Popularitätswerte im September nochmals zu den parteiinternen Wahlen in seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) antreten würde. Da der Vorsitzende der LDP gleichzeitig den Posten des Ministerpräsidenten besetzt, wird dieser Urnengang mit Interesse verfolgt. Kishida lavierte bis zuletzt und lotete seine Chancen aus, bevor er am vergangenen Mittwoch seinen Rückzug bekanntgab. Seine Verzichtserklärung gab dem Kandidatenkarussell, das sich bereits zu drehen begonnen hatte, nochmals einen kräftigen Schub. Nicht weniger als elf Parlamentarier haben in der Zwischenzeit ihr Interesse bekundet, in Kishidas Fußstapfen zu treten. Allerdings brauchen sie für eine Kandidatur Empfehlungen von mindestens zwanzig LDP-Kollegen. Daran werden sicherlich einige scheitern. Über den genauen Tag des Urnengangs will die LDP am Dienstag entscheiden.
Die Fäden des Spektakels laufen bei den beiden grauen Eminenzen der Partei, den ehemaligen Premiers Aso Taro und Suga Yoshihide, zusammen, die sich als Königsmacher bekämpfen. Lange Zeit schien LDP-Vize Aso dank der Größe seiner Fraktion die Oberhand zu haben. Sein Protegé, LDP-Generalsekretär Motegi Toshimitsu, wurde als Kronfavorit gehandelt. Doch dieser ist in der Bevölkerung unbeliebt. Und da es der LDP davor bangt, bei den nächsten Unterhauswahlen die Macht zu verlieren, soll es nun ein junges, frisches Gesicht richten: der 43jährige ehemalige Umweltminister Koizumi Shinjiro, Sohn des früheren Premiers Junichiro. Ihm traut man zu, dass er in der Bevölkerung den Korruptionsskandal um schwarze Kassen, der in der ersten Jahreshälfte die Schlagzeilen füllte, vergessen lassen könnte. Koizumi wird vor allem von den jüngeren Parlamentariern favorisiert.
Dabei schwingt auch das sogenannte Ishimaru-Phänomen mit. Der heute 42jährige Youtuber Ishimaru Shinji kam aus dem Nichts und wurde bei den Tokioter Gouverneurswahlen im Juli überraschend Zweiter. Sein Wahlprogramm war nur dürftig zusammengeschustert, seine Stärke war vor allem seine Unabhängigkeit von den etablierten Parteien. Ishimarus Erfolg zeigte dem politischen Establishment Japans, dass die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung weiter zugenommen hatte. Mit einer Erneuerung an der Spitze und einem frischen Mann will die LDP nun diesem Trend entgegensteuern. Möglich, dass sie – falls Koizumi die Wahl im September wirklich gewinnen sollte – damit Erfolg hat und die Bevölkerung euphorisch auf den neuen Mann reagiert, wie es bei dessen Vater der Fall war. Doch Beobachter in Tokio sind sich sicher, dass sich an Japans Politik nichts ändern würde.
Diese krankt nach wie vor an den Vorgaben, die Kishidas Vorvorgänger Abe Shinzo dem Land hinterlassen hat. Dazu gehört die Verdoppelung des Wehretats, die im Dezember 2022 angekündigt wurde. Eingeleitet hatte diese »Zeitenwende« Abe, dem Donald Trump während dessen Präsidentschaft den Kauf von US-Waffen zu überhöhten Preisen aufschwatzte. Noch ist unklar, wie Japan die Waffenkäufe bezahlen will – Steuererhöhungen scheinen unvermeidlich. Und die Wirtschaft krankt immer noch an Abes Wirtschaftsprogramm »Abenomics« mit ihren geldpolitischen Lockerungen und der Null- bzw. Negativzinspolitik, aus denen Japan nur langsam herausfindet. Ein billiger Yen hat zu importierter Inflation geführt, unter der die Bevölkerung leidet, ohne dass die Löhne genügend nachziehen würden.
Zusammen mit den Skandalen, in die die LDP unter Kishida verwickelt war, hat dies zu niedrigen Umfragewerten für dessen Kabinett geführt. Das konnte auch durch seine Bemühungen um ein gutes Verhältnis zu den USA – was von Japanern meist hoch bewertet wird – nicht aufgewogen werden. Doch Kishida – in seiner Arglosigkeit – schien die Zeichen der Zeit lange nicht zu erkennen. Erst als ihm klar wurde, dass ihn Aso, der ihn lange unterstützt hatte, endgültig hatte fallenlassen und dass ihm mit Koizumi ein mächtiger Gegner erwachsen würde, gab er auf. In die Geschichtsbücher wird er wohl als tragikomische Figur Eingang finden.
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