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Aus: Ausgabe vom 19.08.2024, Seite 15 / Politisches Buch
SPD

Zur Einheitspartei und zurück

Mit kritischen Akzenten: Eine neue Geschichte der deutschen Sozialdemokratie
Von Leo Schwarz
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Kommunistische Konkurrenz verboten: Bundesparteitag der SPD in der Dortmunder Westfalenhalle im Juni 1966

Man muss der SPD lassen, dass sie im Gegensatz zu den anderen im Bundestag vertretenen Parteien weiterhin Wert auf eine publizistische Vermittlung der eigenen Parteigeschichte legt – obwohl der Vorstand der parteieigenen historischen Kommission im Zuge von Sparmaßnahmen 2018 den Stecker gezogen hat. Die zusammenfassende, gleichsam offizielle Darstellung der Parteigeschichte war lange die mehrfach aufgelegte, aus einer strikt rechtssozialdemokratischen Perspektive geschriebene »Kleine Geschichte der SPD« von Susanne Miller und Heinrich Potthoff. Sowohl Miller als auch Potthoff sind inzwischen verstorben, eine Aktualisierung und Fortschreibung dieser Arbeit ist also nicht mehr möglich.

Die 2023 vorgelegte »Kurze Geschichte der deutschen Sozialdemokratie« von Peter Brandt und Detlef Lehnert nimmt nun auch die jüngste Parteigeschichte bis 2021 in den Blick. Sie ist aber – und das kann angesichts der chronischen Krise der SPD auch gar nicht anders sein – keine Verlängerung von Miller/Potthoff, denen es mit Blick auf die großen Kontroversen zur Parteigeschichte letztlich immer um die Rechtfertigung der jeweiligen (rechten) Vorstandslinie ging.

Bei Brandt/Lehnert steckt natürlich auch noch reichlich Rechtfertigung drin. Einmal mehr wird zum Beispiel der für die Masse der Parteimitglieder demoralisierende Verzicht auf entschlossene Kampfmaßnahmen nach der Absetzung der SPD-geführten preußischen Regierung am 20. Juli 1932 damit legitimiert, dass man davon habe ausgehen müssen, dass ein Generalstreik »als Kampfmittel versagen würde« und eine direkte Konfrontation mit SA und Reichswehr wenig Aussicht auf Erfolg geboten habe.

Allerdings finden sich in dem Buch auch einige kritische Akzente im Zusammenhang mit den großen Wegmarken der Parteigeschichte. Das Einschwenken auf die Politik des »Burgfriedens« ab 1914 wird immerhin als »problematisch« gekennzeichnet; von »nationalen Eiferern« am rechten Rand der Partei setzen sich die Autoren ab. Ziemlich deutlich wird benannt, dass die Mehrheit im Parteivorstand zu keinerlei Konzessionen gegenüber dem linken Flügel bereit war, die Parteispaltung »befeuerte« und die Opposition so 1917 gleichsam dazu zwang, »eine eigene Partei zu gründen, um ihre Vorstellungen überhaupt wieder offen artikulieren zu können«.

Kontrastierend verweisen die Autoren auf die schweizerische, österreichische und französische Partei: Dort sei es gelungen, durch eine vergleichsweise kritische Haltung zum Krieg bzw. mit einem Mindestmaß an innerparteilicher Toleranz »eine größere Linksabspaltung« zu vermeiden. Das Argument ist exemplarisch für die gesamte Darstellung: Brandt/Lehnert legen Wert auf einen integrativen Ansatz und meiden offene Apologetik. Aus dieser Perspektive gelangen sie immer wieder zu moderat kritischen Einschätzungen der Politik der jeweiligen Parteispitze, die mal matt und kosmetisch und mal grundsätzlicher ausfallen.

Den führenden SPD-Politkern von 1918/19 wird eine »dominierende Logik sachlicher Zwänge« vorgehalten; der »einseitige Kampf gegen militante Linksradikale und rebellierende Teile der Arbeiterschaft« habe die »bewaffnete Konterrevolution« gestärkt. Vergleichsweise deutlich kritisieren die Autoren die »Resignation« des Parteivorstandes 1933 und die »Politik der Konzessionen als Mittel zum Überleben«; das Parteiverbot im Juni 1933 habe diese »quälende Phase« beendet. Zweifel daran, »dass die KPD, in der auch das NS-Regime einen besonders gefährlichen Gegner sah, und ihre Sympathisanten eine besondere eigene Rolle im Inlandswiderstand einnahmen«, weisen Brandt/Lehnert zurück – um gleich anschließend kein kritisches Wort über die Schumacher-Politik der Nachkriegsjahre zu verlieren.

Mit Einflussverlust und Verbot der auch von der SPD mit »harten Bandagen« bekämpften KPD sei die Sozialdemokratie Mitte der 50er Jahre »faktisch zur Einheitspartei der Arbeiterbewegung in der Bundesrepublik« geworden. Heute indes hat sie mit Arbeitern kaum noch etwas zu tun – diese Einsicht ist das verbindende Element der Schlusskapitel des Buches.

Peter Brandt, Detlef Lehnert: Eine kurze Geschichte der deutschen Sozialdemokratie. Dietz, Bonn 2023, 244 Seiten, 20 Euro

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