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Aus: Ausgabe vom 20.08.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Drei Jahre Taliban-Herrschaft

Afghanisches Emirat oder weltweites Kalifat

Fundamentalisten kämpfen gegen Fundamentalisten. Eine linke Opposition ist kaum vorhanden
Von Philip Tassev
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Um Stabilität bemüht: Taliban-Checkpoint in Kabul (6.7.2023)

Mit der Machtübergabe an die fundamentalistischen Taliban im Sommer 2021 herrscht in Afghanistan zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine Regierung, die über nennenswerten Rückhalt in der Bevölkerung verfügt. Die Macht der korrupten Kollaborationsregierung unter Hamid Karsai und Aschraf Ghani reichte im Grunde nie über die Hauptstadt Kabul hinaus.

Daneben gibt es aber auch nach der Etablierung des Emirats zahlreiche weitere bewaffnete Gruppen, die teilweise mit den Taliban kooperieren, teilweise mit ihnen konkurrieren.

Hauptgegner der Taliban sind momentan die Dschihadisten des »Islamischen Staats – Provinz Khorasan« (ISPK). Während die Taliban hinter ihrer sunnitisch-fundamentalistischen Ideologie eher nationalpaschtunisch ausgerichtet sind und sich auf die Errichtung eines landesweiten Emirats beschränken, streitet der salafistische ISPK für ein weltweites Kalifat. In den Reihen des ISPK kämpfen neben Paschtunen auch Angehörige anderer Völker aus den umliegenden zentralasiatischen Staaten, aus Südostasien und den arabischen Ländern. Seine Hochburgen liegen im schwer zugänglichen Grenzgebiet zu Pakistan, die Gruppe ist aber auch in anderen Teilen Afghanistans aktiv. Nach dem Abzug der NATO-Truppen wurden Hunderte von ISPK-Kämpfern aus den Gefängnissen entlassen und konnten seitdem erfolgreich neue Mitglieder rekrutieren. Vertreter der Taliban haben gegenüber lokalen Medien das Ausmaß des Einflusses des ISPK zugegeben. So zeigten sie sich etwa gegenüber der afghanischen Zeitung Hasht-e Subh Daily besorgt darüber, wie leicht der ISPK Anschläge verüben kann.

Zuletzt detonierte am 11. August in Kabul ein Sprengsatz in einem Bus voller Schiiten vom Volk der Hasara. Afghanische Schiiten waren in den letzten Jahren immer wieder Ziel verheerender Anschläge des ISPK. Für die Taliban sind solche Angriffe besonders mit Blick auf die internationalen Beziehungen – vor allem zum schiitischen Iran – problematisch, hatten sie doch Teheran den Schutz der religiösen Minderheit zugesichert. Gleichzeitig versuchen die Taliban, internationale Legitimität zu gewinnen, indem sie sich als Gegengewicht zum radikaleren ISPK darstellen. Diese Darstellung hat inzwischen sogar in den USA einen gewissen Anklang gefunden.

Daran, dass es in Afghanistan keinen demokratischen oder gar kommunistischen Widerstand gegen die Taliban-Herrschaft gibt, trägt der US-Imperialismus die Hauptschuld. Seit den späten 1970er Jahren haben die Fundamentalisten im Auftrag der CIA und mit Unterstützung des pakistanischen ISI alles dafür getan, die fortschrittlichen Elemente auszurotten.

Das gibt selbst eine proimperialistische Ideologin wie Cheryl Benard von der neokonservativen US-Denkfabrik Rand Corporation zu, Ehefrau des US-Diplomaten Zalmay Khalilzad, der in Doha den Deal mit den Taliban aushandelte: »Zuerst dachten alle, dass es keine Möglichkeit gibt, die Sowjets zu schlagen. Also hetzten wir ihnen die schlimmsten Verrückten auf den Hals, die wir finden konnten, und dabei gab es eine Menge Kollateralschäden. Wir wussten genau, wer diese Leute waren und wie ihre Organisationen aussahen, und es war uns egal. Dann haben wir zugelassen, dass sie alle gemäßigten Führer einfach umbringen. Der Grund, warum wir heute keine gemäßigten Führer in Afghanistan haben, ist, dass wir zugelassen haben, dass die Verrückten sie alle töten. Sie töteten die Linken, die Moderaten, die Zentristen. Sie wurden in den 1980er Jahren und danach einfach eliminiert.«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (19. August 2024 um 23:05 Uhr)
    Nach der Lektüre dieses Artikels könnte ich Grün werden. Die Grünen haben nämlich vor vierzig Jahren den Eurozentrismus der Marxisten kritisiert. Dass in der jW der Unfug von US-Diplomaten kolportiert und positiv konnotiert wird, entsetzt mich leicht, verwundert mich aber auch nicht besonders – siehe Eurozentrismus. Meine Empfehlung für Redaktion und Leserschaft: Michael Lüders, »Hybris am Hindukusch, Wie der Westen in Afhanistan scheiterte«, C H Beck, 2022, lesen! Da steht nämlich drin, dass Afghanistan nicht nur aus Kabul besteht und ein ziemlich zerklüftetes Land ist. Im Auftrag der CIA wurde es sicher nicht zerklüftet. Verschwörungstheorie in allen Ehren, aber alle ihre Erfolge muss man der CIA nicht als Verursacher (und Auftraggeber) zuschreiben.

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