Entlastungstarif statt Leiharbeit
Von Achim Bigus»Besser planbare Arbeitszeiten, höhere Gehälter, weniger Springerdienste am Wochenende« – mit dieser Aufzählung hatte das Handelsblatt am Montag nicht die Forderungen der Krankenhausbewegung gemeint. Die Beschäftigung von Pflegefachkräften in Zeitarbeitsfirmen gehe zurück, hieß es da. Rund vier Prozent weniger Pflegekräfte seien zum Jahresende 2023 für Personaldienstleister tätig gewesen, der »Boom« der vergangenen sei Jahre beendet. Wegen ihrer katastrophalen Arbeitsbedingungen hatten viele Pflegekräfte »der Stammbelegschaft von Krankenhäusern oder Altenheimen« den Rücken gekehrt und sich »statt dessen von einem Personaldienstleister anstellen lassen«, so das Handelsblatt. In der Leiharbeit fanden sie bessere Arbeitsbedingungen vor als in Festanstellung.
Betreiber von Kliniken und Pflegeinrichtungen hätten dadurch den Abbau von Betten und die Schließung von Stationen verhindern können, so der Bericht. Auf die Forderungen der Beschäftigten wurde dabei nicht eingegangen. Die Leiharbeit in der Pflege sei nun rückläufig. Einer Erhebung der Bundesagentur für Arbeit zufolge weichen Betriebe mit Personalengpässen »verstärkt auf interne Lösungen aus, indem sie beispielsweise über Springer- und Poollösungen ihre Mitarbeiter flexibel in mehreren ihrer Einrichtungen einsetzen«. Gegen diese Tricks von Klinik- und Pflegeheimbetreibern entwickelt sich seit rund zehn Jahren die Tarifbewegung von Gesundheitsbeschäftigen für Entlastung.
Nun hat sie auch Niedersachsen erreicht, wo die Klinikbeschäftigten der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) am 8. Mai ihre Forderung nach einem Tarifvertrag Entlastung (TV-E) an Klinikleitung und Landesregierung übermittelt hatten. Am vergangenen Donnerstag war die 100-Tage-Frist für Tarifverhandlungen verstrichen, von den Dienstherren ungenutzt. Die Gewerkschaft Verdi hatte die MHH-Beschäftigten daher zu einem Warnstreik am Freitag aufgerufen: Im Stadion von Arminia Hannover brannte dann die Luft.
Die 800 Sitzplätze waren gut gefüllt, doch bei der Protestversammlung schallten keine Lieder von den Rängen: »Wir sind es wert!«, »Entlastung – Jetzt«, und immer wieder: »Wie viele Tage haben wir Klinikleitung und Politik gegeben? Hundert! Wie viele sind noch übrig? Null.« Der Wirt der Vereinsgaststätte begrüßte die Beschäftigten und Unterstützer aus Stadtgesellschaft und anderen Kliniken sowie die geladenen Gäste aus der Landespolitik. »Wir müssen jeden Tag entscheiden, wen wir heute behandeln können und wen wir liegenlassen müssen«, kritisierte eine Physiotherapeutin die Arbeitsbedingungen im Klinikum.
Die Flut an Patienten treffe auf eine Ebbe an Personal, erklärte auch eine Kollegin der Radiologie. Die Beschäftigten fordern im Kern schichtgenaue Besetzungsregeln. Werden diese nicht eingehalten, soll es Belastungsausgleich durch Freischichten geben. Teamdelegierte trugen dazu konkrete Regelungspunkte zusammen – nicht nur für die Pflege, sondern aus 133 Bereichen wie »Steril«, Transport, Therapie, Labor, Pflegeschule, Auszubildende, OP-Pflege, Kreißsaal und mehr. Die Beschäftigten der MHH hätten ihren Tarifvertrag selbst geschrieben, bilanziert ein Moderator. Die Auszubildende Lina betonte, in der Pflege sollten Menschen in besonders vulnerablen Situationen begleitet werden. »Wir sind es wert, gut ausgebildet zu werden.« Das seien die Verantwortlichen nicht nur ihnen, sondern allen Patienten schuldig, »die wir in unserem Arbeitsleben noch behandeln werden«.
Der niedersächsische Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD) erklärte, er habe Verständnis für die Forderung nach Entlastung, könne aber »keinen Tarifvertrag abschließen«. Eine »Dienstvereinbarung« mit dem Personalrat solle es richten – Verhandlungen ohne Streikrecht also. Das Bundesarbeitsgericht nannte das bereits »kollektives Betteln«. Reinhold Hilbers (CDU) blies ins selbe Horn und erntete dafür Buhrufe. Die Auszubildende Lina bilanzierte: »Wenn Sie sich nicht bewegen, sehen wir uns gezwungen, uns zu bewegen – auf die Straße!«
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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