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Aus: Ausgabe vom 20.08.2024, Seite 8 / Inland
Hungerstreik

»Der Widerstand dagegen ist befreiend«

Politischer Gefangener seit 150 Tagen im Hungerstreik gegen Zwang zur Anstaltskleidung. Ein Gespräch mit Sonnur Demiray
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Seit 150 Tagen befindet sich Haydar Demiray im Hungerstreik

Ihr Ehemann Haydar Demiray befindet bereits seit dem 13. März im Hungerstreik in der JVA Düsseldorf. Was ist der Grund für seinen Protest?

Mein Ehemann wehrt sich seit seiner Verlegung in die Strafanstalt gegen die Anstaltskleidung, die ihm in der JVA aufgezwungen wird. Als ein Mensch, dessen Leben vom antifaschistischen Kampf und dessen Werten geprägt ist, weigert er sich, die Erniedrigung in Form von Anstaltskleidung zu akzeptieren. Gerade in Deutschland mit seiner Geschichte der Konzentrationslager und der dort angewandten Methode der aufgezwungenen Einheitskleidung, ist dieser Angriff auf die Würde und Persönlichkeit eines politischen Gefangenen nicht zu akzeptieren.

Wie geht es Ihrem Mann nach einer so langen Zeit des Hungerstreiks?

Psychisch geht es ihm gut. Die Haft ist eine Methode der Herrschenden, um die politische Identität und den Willen eines Menschen zu brechen. Der Widerstand dagegen ist jedoch um so befreiender. Seine Moral und Entschlossenheit sind ungebrochen. Körperlich geht es ihm jedoch nach mehr als 150 Tagen im Hungerstreik zunehmend schlechter. Schmerzen am Körper, Vergesslichkeit, Schwindel und Probleme mit der Motorik nehmen von Tag zu Tag zu. Mit dafür verantwortlich sind auch die Ärzte in der Anstaltsklinik der JVA, die ihm lange Zeit das Vitamin B1 verwehrt haben. B1 ist jedoch absolut notwendig, um die Hirnfunktionen trotz Hungerstreiks intakt zu halten.

Was geben die Behörden für Gründe an, seiner Forderung nicht nachzukommen?

Man argumentiert wie gewöhnlich bei Anstaltskleidung, dass dies das übliche Prozedere sei.

Es gab dennoch eine Zusage, ihm seine zivile Kleidung auszuhändigen und er wurde nach Dortmund verlegt. Daraufhin hatte er seinen Hungerstreik kurzzeitig unterbrochen. Was passierte dann?

Als er in Dortmund ankam, wollte man plötzlich nichts mehr davon wissen, dass er zivile Kleider tragen dürfe. Vielmehr liege es im Ermessensspielraum der JVA Dortmund, ob Anstaltskleidung getragen wird oder nicht. Ihm werde aufgrund seiner Verhaltensweise nicht erlaubt, zivile Kleidung zu tragen. Es war also ein Spiel vom Justizministerium NRW. Letztendlich ging der Widerstand in Dortmund weiter, weshalb er auch wieder zurück in seine ursprüngliche JVA verlegt wurde.

Aber hat es nicht in der Vergangenheit bereits Beispiele gegeben, wo die Forderung von politischen Gefangenen in der Frage umgesetzt wurde?

Allerdings. Es gibt sogar mehrere Beispiele, auch hier in NRW. So hat Sadi Özpolat einen Hungerstreik gegen Anstaltskleidung erfolgreich beendet und wurde in der JVA Bochum in einen Bereich verlegt, wo keine Anstaltskleidung getragen wird. Eine ähnliche Lösung gab es auch in der JVA Essen, wo Özkan Güzel einen ähnlichen Sieg gegen die Willkür errungen hat. Doch nicht nur in NRW: Gülaferit Ünsal in Berlin und Yusuf Tas in Baden-Württemberg wurden jeweils in Haftanstalten verlegt, wo kein Zwang zur Einheitskleidung herrscht. Zuletzt hat Özgül Emre 2022 nach 44 Tagen im Hungerstreik ihr Recht auf zivile Kleidung in der JVA Rohrbach erkämpft und trägt seitdem keine Einheitskleidung.

Was vermuten Sie, warum die Anstaltsleitung Haydars Forderung nicht nachkommt?

Zum einen wollen sie an ihrem Ziel festhalten, den politischen Willen und die Persönlichkeit des Gefangenen zu brechen. Zum anderen wollen sie den Hungerstreik auch so lange wie möglich ausdehnen, damit Haydar im Hungerstreik gesundheitliche Schäden davonträgt und seinen Widerstand aufgibt. Sie wissen, dass es ein Spiel auf Zeit ist und wollen seine Grenzen ausreizen. Sie sollten aber mittlerweile wissen, dass Antifaschistinnen und Antifaschisten aus der Türkei nicht so leicht von ihren Idealen Abstand nehmen und auch den Tod in Kauf nehmen, anstatt Prozeduren über sich ergehen zu lassen, die Relikte aus der Nazizeit sind.

Sonnur Demiray ist Aktivistin und Ehefrau des politischen Gefangenen Haydar Demiray

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