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Aus: Ausgabe vom 21.08.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Renaturierungsgesetz der EU

Naturschutz kontra Milchwirtschaft

Niederlande: Das EU-Renaturierungsgesetz erschwert Kühen den Weidegang – Torfbauern das Geschäft
Von Gerrit Hoekman
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Ist es zu nass, wird die Weide matschig getrampelt. Das schmeckt den Kühen gar nicht, Umweltschutz hin oder her

Mehr Vögel, Bienen, Schmetterlinge und Flüsse, die frei fließen dürfen: Umweltorganisationen jubeln, die Landwirte sind entsetzt. Das Renaturierungsgesetz der EU ist seit Sonntag in Kraft. Bis 2030 sollen die Mitgliedstaaten nun auf mindestens 30 Prozent der Land- und Seefläche des EU-Territoriums Maßnahmen ergreifen, um dort den natürlichen Zustand wieder herzustellen. Stichwort: Wiedervernässung. Bis 2050 soll es die Hälfte der Fläche sein.

Die 27 EU-Staaten hatten monatelang um den Inhalt der Verordnung gerungen. Die Abstimmung der EU-Umweltminister war für den 25. März vorgesehen. Aber sie wurde abgesagt, weil Polen, Ungarn, Italien, Finnland, Schweden und die Niederlande ihre Ablehnung bekundet hatten; Belgien und Österreich wollten sich enthalten. Sie repräsentieren mehr als 35 Prozent der EU-Bevölkerung, genug, um Gesetze zu verhindern.

Die Verordnung wurde entschärft und am 17. Juni stand die Mehrheit. Österreich war aus der Ablehnungsfront ausgeschert. Die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler stimmte auf eigene Faust zu – was in Wien zu einer veritablen Koalitionskrise mit der konservativen ÖVP von Bundeskanzler Karl Nehammer führte.

Weniger Gülle und Pestizide, mehr Platz für die Artenvielfalt, gilt jetzt für Agrarier in der EU. Vor allem bei den sogenannten Bestäubern, wie etwa Bienen. Das ruft Widerstand hervor. »Man kann uns Bauern nicht par ordre du mufti vorschreiben, wie wir zu wirtschaften haben«, wettert Bauernpräsident Joachim Rukwied auf der Internetseite des Deutschen Bauernverbands (DBV). Wer glaube, »mit Ordnungsrecht der Natur zu helfen, erreicht das Gegenteil«. Der niederländische Bauernverband LTO sieht bereits die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung in Gefahr.

In den agrarintensiven Niederlanden prallen die Interessen besonders heftig aufeinander. Etwa im Groene Hart, dem »Grünen Herz« zwischen Den Haag, Rotterdam, Utrecht und Amsterdam. Ein Torfgebiet. Das Gras wächst hier schneller als auf Sand oder Lehm. Sobald im Frühjahr der Boden nicht mehr nass und sumpfig ist, schicken die Bauern ihre Kühe auf die Weiden, meist schon im April.

Die »Hoogwaterboerderij« (Hochwasserbauernhof) in Zegveld liegt ebenfalls im Groene Hart. Ein Musterbauernhof, auf dem seit 2020 untersucht wird, welche Folgen die Renaturierung für die landwirtschaftliche Nutzung hat und wie Bauern trotzdem finanziell über die Runden kommen. Unter seinen Wiesen wurde der Grundwasserspiegel künstlich von 60 Zentimeter auf 20 Zentimeter unter der Oberfläche erhöht, berichtete die Tageszeitung De Volkskrant am Montag.

Die Maßnahme verhindert, dass der Torfboden austrocknet, zerbröselt und Unmengen des umweltschädlichen CO2 freisetzt. Ferner kommt es seltener zu Bodensenkungen. So ungefähr wünscht sich die EU die Sanierungsmaßnahmen für Moorlandschaften, die bäuerlich genutzt werden. Nicht nur im Groene Hart, sondern überall in der EU soll der Torfabbau gestoppt und Ackerland in Grünland umgewandelt werden.

Gut für die Natur, doch leider schlecht für die Landwirtschaft. Während die Störche übers Moor stolzieren und sich die Insekten fröhlich auf der Wiese tummeln, stehen die Kühe länger im Stall. Die 120 Tiere der Hoogwaterboerderij durften in diesem Jahr erst im Juni auf die Weide, weil das Wasser nicht weichen wollte. Ein feuchter Boden macht auch das Mähen schwieriger, weil die schweren Maschinen im Morast einsacken. »Man konnte das Land nicht betreten und die Qualität des nassen und alten Grases verschlechterte sich schnell«, beschreibt der landwirtschaftliche Berater des Bauernhofs, Wim Honkoop in De Volkskrant die Nachteile.

Gammeliges Gras mag keine Kuh gerne fressen. Also muss Futter zugekauft werden. Ein Kostenpunkt, der so manchem Landwirt das Genick brechen kann, weil die Margen in der Branche sowieso schon gering sind. Wäre eine leichtere Kuh die Lösung? Nein, sagt Berater Honkoop. Selbst die braune Jersey-Kuh, die rund 200 Kilo weniger auf den Rippen hat, als das schwarz-weiße Holstein-Rind zertrampelt das nasse Gras.

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