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Volontäre

Von Helmut Höge
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Laut einer Gallup-Studie gibt es in der deutschen Wirtschaft 5,7 Millionen Beschäftigte, »die innerlich gekündigt haben«. Hinzu kommen mindestens noch einmal so viele, die keine Beschäftigung in der »deutschen Wirtschaft« wollen. Überall werden Arbeitskräfte gesucht – und nicht gefunden, weswegen das Bürgergeld gekürzt werden soll, damit die Bezieher nicht damit über den Monat kommen und dann doch entgegen ihren Wünschen einen Job annehmen müssen. Denken wir nur an die zigtausend jungen Frauen, die in Klamottenläden als Verkäuferinnen arbeiten und nichts anderes tun müssen, als immer wieder die Kleiderhaufen, die gelangweilte Kundinnen durchwühlt haben, erneut zusammenzulegen. Eine völlig sinnlose Beschäftigung, dazu noch sauschlecht bezahlt.

Ohne ihren Fortschrittsbegriff hat die kapitalistische Wirtschaft keine andere Bedeutung mehr, als Geld zu verdienen. Aber die Unwilligkeit, die ihr Gefüge erodiert, bringt gleichzeitig hier und da Gegenentwürfe hervor. »15.000 bis 20.000 Deutsche werden dieses Jahr ihren Urlaub mit einem Freiwilligeneinsatz verbinden«, schätzt eine Vermittlungsagentur.

Laura, die als Volontärin auf einer Meeresschildkrötenrettungsstation in Costa Rica arbeitet, »um mit motivierten Menschen in Verbindung zu treten und gemeinsam etwas von Bedeutung zu tun«, erzählt, wie sie da hingekommen ist: »Da gehst du jeden Tag zur Arbeit, legst über viele Monate Geld zur Seite, damit du irgendwohin reisen kannst, wo es schön ist, aber dann kannst du da nur zwei Wochen bleiben und gehst zurück in dieselbe Situation, aus der du gerade erst geflogen bist. Das ist doch verrückt! Und am nächsten Morgen klingelt der Wecker, und du hast dieses abscheuliche Gefühl im Bauch, dass ein neuer Tag an Dingen vor dir liegt, die du gar nicht wirklich magst. Aber du musst sie erledigen, Tag für Tag, Jahr für Jahr, weil du ja dein Haus mit dem schönen Garten halten willst, in dem du allerdings fast nie wohnst, weil du ja ständig bei der Arbeit bist.«

Diese Wahrnehmung einer einst erstrebenswerten bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Existenz entnehme ich Lars Bendels Buch »Traum über Kopf« (2024). Er, ein »Werbefuzzi« und seine Freundin Anja Mäuerle, eine Spanisch-Dolmetscherin, waren zwei Jahre unterwegs in Afrika, Nord- und Mittelamerika, auf Hawaii, den Azoren und in Neuseeland, wo sie als »vagabundierende Volontäre« in Naturschutzprojekten und ökologischen Land- und Forstwirtschaften arbeiteten. Sie lösten ihre Haushalte auf, legten ihr Geld zusammen und begannen im südafrikanischen Nationalpark und in Botswana eine Ausbildung als Ranger. Dafür mussten sie einen »höheren fünfstelligen Betrag« hinlegen. Die beiden begannen also als Azubis, die wie früher für ihre Lehre zahlen mussten. Auch ihre Arbeit in den darauffolgenden Projekten, jeweils für einige Monate, war etwas anderes als »ehrenamtlich«, weil sie auch dort ein bisschen was kostete. Immerhin brachte es ihnen neben Weltwissen und vielen Kenntnissen über Pflanzen und Tiere einen Buchvertrag ein.

Inzwischen kann man schon von einem ganzen Genre reden: Bücher von »vagabonding volunteers«. Erwähnt sei Michi Schreibers Bericht »Unbändig: Wie ich nicht nur einen Affen auswilderte, sondern auch mich selbst« (2022), Gesa Neitzels inzwischen drei Berichte über ihre Rangerarbeit in diversen afrikanischen Wildtierschutzreservaten, einer heißt »Frühstück mit Elefanten« (2018), Kerstin Plehwes Buch »Die Weisheit der Elefanten« (2013) über ihre Arbeit als Rangerin im Kruger-Nationalpark.

Die eben beschriebenen Formen von ehrenamtlicher oder so gut wie nicht bezahlter Arbeit (was das Gegenteil von einem Job ist) sind erst einmal nur für junge Leute interessant, die nicht mittellos sind, aber ziemlich anspruchslos und etwas abenteuerlustig. Im Internet finden sie die gewünschten Projektadressen. Und es werden immer mehr. Lars Bendels und Anja Mäuerles »Zuhause« befand sich während ihrer Azubi- und Volontärszeit auf Instagram. Und unter ihren Lesern (Followern) gibt es sicher etliche, die es nicht bei Klicks belassen, sondern ebenfalls mehr vom Leben haben wollen – und dazu wohl erst einmal »Suchbegriffe zu Volunteers in Nationalparks und Wildtierrettungsstationen« im Internet eingeben. Ähnliches traf auch auf eine Gruppe wandernder Zimmerleute aus Hessen zu, die ich in der Mongolei traf, wo sie von burjatischen Handwerkern Holzhausbau lernten.

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