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Aus: Ausgabe vom 21.08.2024, Seite 1 / Titel
Bahninfrastruktur

FDP-Traum wird wahr

Bahnfahren als Luxusgut: Nach Haushaltseinigung soll Schienenmaut um 19 Prozent steigen
Von Arnold Schölzel
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Die einstige Staatsbahn wurde durch neoliberale Misswirtschaft zur Geisterbahn

Energie- und Verkehrswende? Nicht mit der »Übergangskoalition«. Am Montag abend teilte die für das Schienennetz zuständige Bahngesellschaft Infra-GO mit, sie plane nach der Preiserhöhung 2025 eine weitere drastische Erhöhung der Nutzungsgebühr für die Schiene ab 2026. Das werde besonders den Regionalverkehr treffen, für den Infra-GO eine Erhöhung um 23,5 Prozent bei der Bundesnetzagentur beantragt habe.

Mit der sogenannten Schienenmaut finanziert die Bahn unter anderem die Kosten für Betrieb, Instandhaltung und die Investitionen in das mehr als 33.000 Kilometer lange Schienennetz. Gemäß Eisenbahnregulierungsgesetz von 2016 zahlt die Bahn aber damit auch Zinsen an den Bund, die für ihr Eigenkapital fällig werden. Zu den am Freitag beschlossenen Haushaltstricks der Bundesregierung gehört die weitere Erhöhung des Eigenkapitals der Bahn in Höhe von insgesamt 21 Milliarden Euro. Das erhöht aber die Zinslast und führt damit laut Infra-GO zu den hohen Trassenpreisen. Im Schnitt sollen die ab 2026 um 19,1 Prozent erhöht werden. Die Folge: Entweder exorbitant steigende Fahrpreise oder weniger Züge. Wahrscheinlich beides. Die Wirkung kommt einem Abriss von Bahntrassen in Kriegszeiten gleich.

Das Branchennetzwerk »Die Güterbahnen« hatte bereits nach der Einigung auf den Haushaltsentwurf 2025 von einem »schwarzen Freitag für die Eisenbahn in Deutschland« gesprochen. Die »desaströse Vereinbarung« verschweige »die kostentreibenden Folgen für die Eisenbahnkunden im Personen- und Güterverkehr.« Denn: »Mit jeder Milliarde zusätzlichem Eigenkapital kann die DB Infra-GO jedes Jahr 59 Millionen Euro zusätzliche Trassenpreise verlangen. Damit wird ein uralter FDP-Traum wahr.«

Nach der Ankündigung von Infra-GO sprach die Vereinigung am Dienstag von einem »Preisschock«. Ihr Geschäftsführer Peter Westenberger erklärte: »Das 2016 beschlossene Trassenpreissystem kollabiert vor unseren Augen. Ein Preisschock jagt den nächsten. Statt der für lange Zeit üblichen gut zweiprozentigen jährlichen Trassenpreiserhöhungen verlangt die gemeinwohlorientierte DB Infra-GO 2025 im Mittel sechs und 2026 fast zwanzig Prozent mehr.« Westenberger forderte, die seit 2016 existierende preistreibende Kopplung des Gewinnanspruchs an die Eigenkapitalhöhe müsse »in diesem Herbst abgeschafft werden«. Alarm schlug am Dienstag auch die Hauptgeschäftsführerin des Verbands der Bahnindustrie, Sarah Stark: »Es droht weniger Bahnverkehr für mehr Geld zu geben.« Die Planungssicherheit für mehr Elektrifizierung und Digitalisierung schwinde, statt zu steigen.

Der Verkehrsminister Nordrhein-Westfalens, Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte, sollten der Bund und die Infra-GO tatsächlich auf Idee kommen, die Trassenpreise für den Nahverkehr um über 20 Prozent zu erhöhen, werde das Folgen haben: »Wesentliche Teile des Nahverkehrs werden einfach nicht mehr stattfinden.« Eine Erhöhung der Trassenpreise in dieser Größenordnung ab 2026 bedeute allein für sein Bundesland eine Zusatzbelastung im dreistelligen Millionenbereich.

Das Echo auf diese Folgen des Haushaltsentwurfs drang sogar bis ins FDP-geführte Bundesverkehrsministerium. Ein Sprecher behauptete am Dienstag, man werde die Verzinsung des Eigenkapitals massiv senken und »zeitnah einen konkreten Fahrplan vorlegen«, um die Finanzierung der Schieneninfrastruktur zukunftssicher zu machen. Hauptsache, Bahnfahren wird Luxus.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (21. August 2024 um 12:23 Uhr)
    Egal, welche der aktuell wirkenden und nachwirkenden Krisen in diesem Land – auch das gigantische Haushaltsloch der BRD mit all seinen Konsequenzen – man betrachtet, liegt deren Kern fast immer in dem Bestreben dieser Regierung und ihrer Unterstützer, als treue Vasallen der USA Russland besiegen und unterwerfen zu wollen. Dabei werden stets die Interessen der USA als vorrangig gegenüber unseren eigenen behandelt. Wobei man diesen Umstand zu verschleiern versucht, indem man die Interessen der USA kurzerhand zu unseren eigenen erklärt. Die Ausnahmen davon sind nur die Coronakrise und der sogenannte Nahost-Konflikt (der eigentlich als Israel-Palästina-Konflikt bezeichnet werden müsste). Wobei auch hier Dilettantismus, Ideologie und die zielgerichtete Bekämpfung des öffentlichen Diskurses hierzulande durch Regierende und einflussreiche Teile der Gesellschaft (z. B. einen wesentlichen Teil des Öfftl.-Rechtl. Rundfunks) deren Bewältigung erschweren. Die BRD ist seit Jahren, auf eigene Kosten, der größte Finanzier des ukrainischen Staates, um ihn als Frontstaat gegen Russland aufrechtzuerhalten. Dagegen wird z. B., Syrien boykottiert, weil es ein Verbündeter Russlands ist und der Westen toleriert aus demselben Grund die massive Unterstützung islamistischer Terrorgruppen im Norden Syriens durch die Türkei. Gleichzeitig behalten die USA bedeutende Rohstoffquellen Syriens besetzt und verhindern den Zugriff darauf durch die Syrer. Das behindert den Wiederaufbau Syriens und sorgt für einen anhaltenden Flüchtlingsstrom aus dieser Region in die EU und nach Deutschland. Und die Energie- und Wirtschaftskrise, die in Verschleierung ihres wahren Charakters und ihrer Ursachen auch als »Energiewende« von Regierung und Medien euphemisiert wird, ist eine direkte Konsequenz der Russlandsanktionen und der dilettantischen Versuche dieser Bundesregierung, den dadurch entstandenen Energiemangel aus anderen Quellen zu kompensieren.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Burkhard I. (21. August 2024 um 11:05 Uhr)
    Stichwort »Trassenpreise«: Wenn ich mich richtig erinnere, dann sind die erst nach Zerschlagung der Deutschen Bundesbahn und Gründung der Deutschen Bahn AG eingeführt worden, weil seit damals ja streckenweise per Ausschreibung unbedingt Wettbewerb mit Privaten statt des bisherigen Staatsmonopols gelten muss. Falls also mal jemand auf die Idee kommen sollte, das volkswirtschaftlich – Kosten und Nutzen für die Allgemeinheit statt für Aktionäre – genauer zu untersuchen, falls dabei weitere Faktoren wie Personalentwicklung und -tarifierung, Streckenab- contra -ausbau, Priorisierung der Bahn vor Straße u. v. a. m. mit berücksichtigt würden, könnte da am Ende vielleicht ein attraktives Modell zur Deprivatisierung bei herauskommen. Und wenn eine derartige Studie vielleicht noch mit entsprechender Untersuchung sozialer und ökologischer Folgen der damals nahezu zeitgleich erfolgten Postprivatisierung verknüpft würde (Briefverkehr, Paketverkehr, Telekommunikation, flächendeckende Versorgung für gleichwertige Lebensbedingungen in Stadt und Land etc. pp.), dann könnte aus einer solchen Studie ein mindestens mittelgewichtiger politischer Hammer werden.
  • Leserbrief von Christian Lühr aus Trier (21. August 2024 um 10:10 Uhr)
    Autolobbyismus hat zwei Zugänge. Nicht nur das kostenfreie Parken in Innenstädten anbieten, Alternativen gleichsam unattraktiver machen. Die Strategie der Lobby mit ihren Gesetzesschreiberlingen der FDP geht auf. Chapeau für so viel Engagement. Wenn ich in dreißig Jahren am kataklysmischen Hochwasser ersaufe und Rettungsversuche an all dem herumschwimmenden Autowrackmassen scheitern, werde ich in den letzten Sekunden die Lindners und und Kubickis herzlichst verfluchen, auf dass ihre Yachten Besuche der organisierten Orkas erhalten.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (21. August 2024 um 08:13 Uhr)
    Man setzt Prioritäten in der Ampel-Regierung. Die Kassen sind leer und der Frieden-gefährdenden Kurs dieser Regierung, das Kiewer Regime mit Abermilliarden Euro zu alimentieren, schlägt jetzt auf das eigene Land und seine Bevölkerung zurück. Die Farce von einer umweltfreundlichen und klimaschützenden Politik, insbesondere der Grünen, könnte nicht größer sein. Den Bürgern dieses Landes wird nach der hausgemachten Inflation bei den Lebensmittelpreisen, der hausgemachten exorbitanten Energiepreisentwicklung nun die nächste Rechnung in Form von stark steigenden Preisen bei der Nutzung der Eisenbahn präsentiert. Beim sogenannten 49-Euro-Ticket war ja bereits seit einiger Zeit eine deutliche Erhöhung für 2025 angekündigt worden. Der Einfluss auf die Ergebnisse bei den Landtagswahlen im Osten Deutschlands wird nicht ausbleiben.

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