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Aus: Ausgabe vom 21.08.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Venezuela

»Jegliche Forderung der Opposition ist Propaganda«

Nichts zu beanstanden: Als Beobachter der Präsidentschaftswahlen in Venezuela. Ein Gespräch mit Carsten Hanke
Von Mawuena Martens
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Doppelt und dreifach abgesichert: Wahlübung in Caracas am 30. Juni

Sie waren gerade als Wahlbeobachter in Venezuela. Wie ist es dazu gekommen und was sind Ihre Eindrücke?

Ich wurde vom Institut Simón Bolívar eingeladen. Insgesamt waren über 630 internationale Wahlbeobachter und 1.300 Journalisten vor Ort. Der Ablauf der Wahlen selbst war völlig transparent. Ich hatte schon im April erlebt, wie vom Wahlrat jeder Schritt zur Vorbereitung öffentlich bekanntgemacht wurde. Diese Transparenz setzte sich fort. Egal, welches der zahlreichen Wahllokale wir kontrollierten, die Bevölkerung beging den Wahltag wie ein Fest. Die Wahlvorstände, die sich aus Mitgliedern von Gewerkschaften, verschiedenen Parteien (auch aus der Opposition) und Indigenen zusammensetzten, beantworteten jede unserer Fragen. Auch andere Wahlbeobachter hatten nichts zu beanstanden.

Wie lief die Abstimmung überhaupt ab?

Vor jedem Wahllokal hängen Listen mit Personalausweisnummern aller dort Stimmberechtigten. Am Abstimmungstag zeigt jeder Wähler zuerst seinen Ausweis vor. Der Wahlvorstand kontrolliert, ob er am richtigen Ort ist. Dann kann er sich nochmals an der ausliegenden Liste mit Fotos aller Kandidaten orientieren. Dieselbe Liste erscheint am Computer, der wie eine Wahlkabine die Anonymität des Wahlaktes garantiert. Der Wähler entscheidet per Fingerdruck auf dem Touchscreen. Mit der Berührung wird bei der Zentrale sofort seine Entscheidung registriert und dann eine Quittung ausgedruckt, die als zusätzliche Absicherung in eine versiegelte Wahlurne gesteckt wird. Bevor der Wähler geht, wird der Wahlakt mit einem Fingerabdruck auf der Liste nochmals bestätigt.

und was sind die sogenannten Wahlprotokolle?

Sie beinhalten von jedem Wahllokal alle Listen, von der Registrierung der Wähler bis hin zu den Listen mit den Fingerabdrücken. Diese müssen mit der registrierten Anzahl der elektronischen Abstimmungen übereinstimmen. Jede abgegebene elektronische Stimme hinterlässt eine eigene Signatur. Es kann also nicht sein, dass mehrere Protokolle die gleiche Signatur haben und auch Unterschriften vom Wahlvorstand fehlen – wie bei den von der Opposition vorgelegten »Protokollen«. Es ist auch fraglich, wie sie an diese gelangt ist. Außerdem ist der Wahlrat laut Gesetz verpflichtet, alle Protokolle nach 30 Tagen zu veröffentlichen. Jegliche Forderung der Opposition oder ausländischer Repräsentanten, diese sofort öffentlich zu machen, ist reine Propaganda.

Eine solche Forderung wurde auch von einer sogenannten UN-Expertengruppe erhoben …

die lediglich aus vier Personen bestand und plötzlich das Land verlassen hat. Sie war nicht in der Lage, eine umfassende Bewertung der Stimmabgabe, der Auszählung und der Tabellierung vorzunehmen. Man muss unter diesen Gesichtspunkten doch hinterfragen, wie sie zu ihren Behauptungen kommt und weshalb sie die Hackerangriffe kleinredet. Dazu möchte ich nur Folgendes anfügen: Zwischen dem 28. und 29. Juli war Venezuela laut den vom Computerexperten Kenny Ossa veröffentlichten Daten eines der Länder mit der höchsten Anzahl von Cyberangriffen weltweit. Und die Attacken kamen aus Nordmazedonien, das seit 2020 der NATO angehört und eng mit den USA kooperiert.

Wie beurteilen Sie den Vorschlag aus Brasilien für eine Koalitionsregierung mit der Opposition oder Neuwahlen?

Bei allem Respekt für die Verdienste Lulas, aber ich halte davon gar nichts. Das Volk hat ein eindeutiges Votum abgelegt. Und die Maduro-Regierung führt seit Jahren Gespräche mit der Opposition, obwohl diese immer wieder von deren Vertretern sabotiert werden. Dennoch hält die Regierung am Dialog fest. Außerdem hat der Wahlrat eine Vereinbarung für alle Kandidaten vorgelegt, die u. a. enthält, das Ergebnis anzuerkennen. Wer hat sie nicht unterschrieben? Nur González und Enrique Márquez nicht. Noch Fragen?

Wo in der Welt gibt es Beispiele dafür, dass die Regierungspartei, die klar gewonnen hat, mit jenen kooperieren soll, die laufend direkt oder indirekt mit Putschversuchen und Forderungen nach mehr Sanktionen gegen das Land und die Bevölkerung arbeiten? Alle Oppositionsparteien, die an der Wahl teilnahmen, hatten im Vorfeld den Wahlrat akzeptiert und können ihn jetzt nicht bei für sie ungünstigen Ergebnissen disqualifizieren.

Carten Hanke ist Präsident der Gesellschaft für Frieden und internationale Solidaritäte.V. (GeFiS)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (20. August 2024 um 20:35 Uhr)
    Noch Fragen?: »Denken Sie an offensive Koordination, nicht an Fähigkeiten: Als das US-Militär anfing, offensive Cyber-Fähigkeiten zu erforschen, begann es mit kleinen, eingebetteten Einheiten, die sich sowohl mit traditionellen als auch mit militärischen Cyber-Operationen auskannten und über die entsprechenden Genehmigungen verfügten. Bei künftigen Krisen könnte die NATO die Schaffung einer Ad-hoc-Koordinierungszelle in Erwägung ziehen, in der Offiziere ihr Wissen über sensible Fähigkeiten anwenden, aber nicht unbedingt weitergeben, um die Ziele der operativen Befehlshaber des Bündnisses an die entsprechenden nationalen Cybereinheiten weiterzugeben. Diese Koordinierungsgruppe könnte dem Cyber Operations Liaison Element der US-Luftstreitkräfte ähneln. Darüber hinaus sollte die NATO, wie vom Direktor des Atlantic Council, Franklin Miller, vorgeschlagen, die Einsetzung einer Gruppe in Erwägung ziehen, in die sich die Staaten auf freiwilliger Basis einbringen können und die nach dem Vorbild der bestehenden Nuklearen Planungsgruppe der NATO eine offensive Cyber-Politik erörtern und ausarbeiten soll.« (Deepl-Übersetzung aus: https://www.atlanticcouncil.org/wp-content/uploads/2014/08/NATOs_Cyber_Capabilities.pdf, SEPTEMBER 2014)

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