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Aus: Ausgabe vom 21.08.2024, Seite 4 / Inland
Ampelkoalition

Übergangsdesaster

Kritik nach Äußerungen von Grünen-Chef Nouripour zu Ampelkoalition als Provisorium
Von Karim Natour
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Weiß auch nicht mehr weiter: Grünen-Chef Omid Nouripour beim Bundesparteitag in Oberhausen (29.6.2024)

Der Ruf der Ampelkoalition ist schlecht. Sehr schlecht. Trotzdem geht es irgendwie weiter. Denn angesichts miserabler Umfragewerte der Regierungsparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP kann es sich keine Partei so richtig leisten, vorgezogene Neuwahlen zu riskieren. Also versucht man, sich durch Kritik an den Koalitionspartnern gegenüber der eigenen Klientel aus der Verantwortung für die desaströse Regierungspolitik zu stehlen. Das geht schon seit ein paar Monaten so, intensiviert sich aber vor den anstehenden Landtagswahlen in den drei ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg, wo die Ampel besonders unbeliebt ist. Für Aufregung sorgte zuletzt Grünen-Chef Omid Nouripour, dem beim ARD-Sommerinterview am Sonntag die Bezeichnung »Übergangsregierung« für die Ampelkoalition herausgerutscht war – also ein Kabinett, das in Zeiten besonderer politischer Krisen provisorisch eingesetzt wird – bis eine »richtige Regierung« bereitsteht, quasi.

Dieses dann doch etwas zu unverhohlene Eingeständnis des eigenen Scheiterns sorgte prompt für Kritik. Der Chef der SPD-Jugendorganisation, Philipp Türmer, sah in den Äußerungen eine »Initiativbewerbung der Grünen, in der nächsten Regierungskoalition mit der CDU zusammenzuarbeiten«. Der FDP warf er vor, mit dem Streit um die »Schuldenbremse« nur noch zu blockieren, statt zu regieren. Dennoch sprach er sich dagegen aus, die Koalition zu beenden, »weil das unverantwortlich in der aktuellen Situation wäre«, so Türmer am Dienstag im Deutschlandfunk.

Vor dem Hintergrund der langwierigen Diskussionen um eine Einigung auf einen Bundeshaushalt hatte Nouripour erklärt, die Ampel sei »als Konstellation als Übergang für die Zeit nach Merkel notwendig« gewesen. Jetzt sei »offensichtlich, dass das Vertrauen an Grenzen gekommen« sei, der »viele, viele überflüssige Streit, den wir untereinander hatten« habe die Situation nicht einfacher gemacht.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) nahm die Äußerungen am Dienstag zum Anlass, Kritik an der Ampel auszudrücken. In der Sendung »Frühstart« von RTL und ­N-TV kritisierte er, meistens dominierten Streit und Meinungsverschiedenheiten in der Ampelkoalition. »Und man hat auch den Eindruck, dass inzwischen auch bei dritt- oder viertrangigen Themen geradezu der Dissens gesucht wird von einigen Akteuren«, so Weil. Das sei keine neue Erkenntnis, »trotzdem« gehe es »immer so weiter«.

Am Montag räumte auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) Probleme in seiner Koalition ein. Deren Arbeit sei »schwer geblieben«, sagte er bei einem Bürgergespräch in Bremen. Dadurch würden die »Erfolge« in der Öffentlichkeit überlagert. Ein Sprecher erklärte in Berlin, Scholz sehe sich als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland und habe seines Wissens vor, »sich wiederwählen zu lassen«. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth forderte die Ampelparteien am Montag im Deutschlandfunk auf, sich »zusammenzureißen« und bis zum Herbst nächsten Jahres (wenn regulär Bundestagswahlen stattfinden sollen) ihre Arbeit zu machen.

Für die CDU, die in Umfragen aktuell bei knapp 30 Prozent der Stimmen liegt, kämen vorgezogene Neuwahlen nicht ungelegen. Parteichef Friedrich Merz nutzte am Montag die Gelegenheit und kommentierte in der Sendung »Newstime« von Sat.1, die Bezeichnung »Übergangsregierung« sei »das Eingeständnis, dass diese Koalition nichts mehr zu sagen« habe und »im Grunde jetzt wirklich am Ende« sei. Die »viertgrößte Volkswirtschaft der Welt« sei »praktisch nicht mehr regierungsfähig«, so Merz.

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (27. August 2024 um 11:35 Uhr)
    Nicht mehr als Übergangsdesaster, von Einsicht weit entfernt, aber auch ein Ausdruck dieser Demokratie, wohin sie zusteuert. Der Schein um den absoluten demokratisch-freiheitlichen Werteanspruch gefeierter und gelobter Demokratie lässt plötzlich erstaunliche Einblicke frei. Zu lesen ist, die CDU-Politik mache sich Sorge um die SPD. Es sind nun gerade ostdeutsche Länder, um die man in Sorge ist. Sachsen und Thüringen könnte die vielgepriesene Demokratie beträchtlich ins Schwanken bringen, heißt eine Demokratie, die sich bisher immer mehr oder weniger wie gewünscht am Ende herbeikoalieren ließ, nie wirklich eine Machtfrage ernsthaft aufkommen ließ. »Machen wir unsere Demokratie kaputt?« soll die Reportage Montag abend beantworten. Welche, wessen Demokratie? Etwa gar eine Demokratie, die alle als Volksherrschaft verstehen sollten und wohl zunehmend in Zweifel geraten? Es könnte spannend und lehrreich werden, wenn es bei allem Getöse nicht gerade darum geht, wahre, wirkliche Demokratie zu verhindern, ihre Gefahren eines Machtverlustes zu bannen, weit entfernt von denkbarem echtem Machtwechsel. Im Grunde geht es vor dem Wahltage nur darum, der Wähler- und Bürgerschaft noch einmal dramatisch vor Auge und Ohr zu führen, was ihnen blüht, wenn sie nicht brav und richtig wählen, also demokratisch sozusagen. Genau besehen ist diese Demokratie gar nicht in Gefahr wegen zweier ostdeutscher Länder. Ob AfD oder BSW, keine der politischen Kräfte will diese Demokratie abschaffen, andere Machtverhältnisse gleich gar nicht. Sie artikulieren ihren politischen Willen im Grunde aus dem demokratischen Unvermögen der regierenden Parteien, der Ampel im ganz besonderen.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (28. August 2024 um 12:00 Uhr)
      (…) Kaum zu glauben, wie viele Leser der Friedens-Demagogie der AfD auf den Leim gehen. Es müsste sich eigentlich herumgesprochen haben, dass die AfD allen (!) Aufrüstungsvorhaben zugestimmt hat. Hoffnungsträger BSW liefert sich mit der AfD einen Wettbewerb in Sachen Migration, nach dem Motto: Man darf Rassismus nicht den Rechten überlassen. Wie lange sich das BSW noch als Friedenspartei bezeichnen kann, ist auch die Frage. Schon im Programm für die Europawahl 2024 hat es sich eine Tür offen gelassen: »Wir wollen dazu beitragen, dass die Europäische Union sich auf ihre politische, wirtschaftspolitische und sicherheitspolitische (!) Eigenständigkeit besinnt und so primär die Interessen der Bürger der Mitgliedsstaaten der Union vertritt. Europa muss eigenständiger Akteur auf der Weltbühne (!) werden, statt Spielball im Konflikt der Großmächte zu sein und sich den Interessen der USA unterzuordnen«. Dazu passt, dass der Kapitalismus an sich für das BSW nicht schlecht ist, sondern nur der »angelsächsisch geprägte Blackrock-Kapitalismus«. Wie sich die Texte gleichen: Franz Josef Strauß 1957: »Wir sind die wirtschaftlich stärkste Macht in Mitteleuropa geworden. An unseren Kassen stehen die ehemaligen Sieger Schlange. Bei uns sind alle verschuldet. Auf die Dauer kann es kein Deutschland geben, das wirtschaftlich ein Riese und politisch ein Zwerg ist. Deshalb braucht die deutsche Politik einen europäischen Rahmen.«
  • Leserbrief von Romancher (22. August 2024 um 06:37 Uhr)
    Meine Interpretation zu »Übergangsregierung« ist, dass die Grünen mit Hendrik Wüst (CDU) als zukünftigen Kanzler am Kabinettstisch sitzen werden wollen. Herr Wüst, eng betreut von der katholischen Kirche durch Herr Nathanael Liminski, NRW-Minister für Europaangelegenheiten u. a.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (20. August 2024 um 21:46 Uhr)
    Will Herr Merz demnächst Tenno oder Nachfolger von Kishida werden? Die mir zugänglichen Informationen (so von Februar bis April 2024) besagen, Japan sei die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Immer nur lächeln tut und immer vergnügt ist der Herr ja. Wenn er sich dahin verzöge, wo der Pfeffer wächst, wäre mir das nur recht. Er müsste ja nicht alleine gehen. Scherz beiseite: Der ideelle Gesamtkapitalist hat es heutzutage nicht leicht. Warum hat die Evolution dem Menschen nur zwei so kurze und ungelenke Beine geschenkt? Wie konnte es geschehen, dass er sich an die Spitze der Nahrungskette setzen konnte? Bein- und intelligenzmäßig ist ihm der Oktopus weit überlegen. Mit acht saugnapfgerüsteten Beinen kann er einen weit besseren Spagat ausführen als der Merz oder der Nouripour mit ihren je zwei Käsemauken. Das Bein-Defizit-Syndrom tritt seit geraumer Zeit weltweit auf. Man muss aber auch die Kausalität historisch-materialistisch überprüfen: Zu wenig Beine oder zuviele Fraktionen? Gab es früher weniger Kapitalfraktionen, z.B. nur eine oder zwei? Ist Marxens tendenzieller Fall der Profitrate schuld an der Zunahme der im Zaum zu haltender (zu »integrierender«) Kapitalfraktionen?