Rotlicht: Resignation
Von Felix BartelsResignation bedeutet so viel wie »die Unterschrift zurückziehen«, im übertragenden Sinn also: aufgeben. Kein schönes Wort. Niemand, ausgenommen Tocotronic, kapituliert gern. Adorno formulierte 1969 eine grundlegende Kritik an der Studentenbewegung unter dem Titel »Resignation«. Fixierung auf die Praxis, heißt es da, sei selbst ein Fall von Resignation. Was Adorno nicht sagt, ist, dass wir alle resignieren müssen, sein Verständnis bleibt negativ. Doch es gibt einen dialektischen Zugriff, der von der deutschen Klassik bis zum Marxismus reicht.
Resignation in diesem Sinn ist eine Haltung, die anerkennt, dass die Welt nicht nach Belieben eingerichtet werden kann, dass man begreifen muss, was in ihr geht und was nicht. Im Übergang vom emphatischen Sturm und Drang zur Klassik wird Resignation daher folgerichtig eine zentrale Kategorie. Goethe stellt ihr in seiner poetischen Produktion (»Wahlverwandtschaften«, »Faust II«) das Entsagungsmotiv bei. 1827 bemerkt er gegenüber Boisserée, dass »ein Individuum sich resigniren müsse, wenn es zu etwas kommen soll«, 1817 gegenüber Willemer, dass man sie »so spät ausspricht als möglich«. Denn es bleibt, wie es in den »Wanderjahren« heißt, »ein großer Unterschied, ob ich mich an den Grenzen der Menschheit resigniere oder innerhalb einer hypothetischen Beschränktheit meines bornierten Individuums«.
Letzteres macht die Dialektik des Begriffs aus. Der handelnde Mensch muss die Grenzen des Handelns durch Handeln und begleitende Reflexion ausloten. Auf nichts anderes will Hegel mit seinem Freiheitsbegriff hinaus, er fordert Unterwerfung unter die Bedingungen der Wirklichkeit und zugleich das Durchsetzen eigener Belange in dieser Unterwerfung. Engels hat diese Idee in der berühmten Formel von der »Einsicht in die Notwendigkeit« zusammengefasst.
Bei Hacks, wo die Linien von Marxismus und Klassik zusammenlaufen, findet man den Begriff der »fröhlichen Resignation«. Die Paradoxie von Nomen und Adjektiv ist beabsichtigt. Fröhlich ist die Resignation, weil sie produktiv ist: »Die Utopie«, notiert Hacks 1972, »beschränkt sich handelnd; die Resignation – ich rede ohne Unlust – ist schöpferisch«. Eben dadurch, dass der Mensch lernt, die Grenzen seiner Macht anzuerkennen, lernt er zu bewirken, was sich bewirken lässt. Sich der Realität zu unterwerfen ist nur ein Weg, sie sich zu unterwerfen.
Über die Anwendung im Politischen hinaus lässt sich Resignation psychoanalytisch als durchgreifendes Motiv der individuellen Entwicklung fassen. Man ersteigt im Lauf seines Lebens mehrere Stufen der Resignation. Das Kleinkind dehnt seinen Willen auf die gesamte Welt. Es muss lernen, das Realitätsprinzip anzuerkennen, lernen, dass es einen Unterschied zwischen Ich und Wirklichkeit gibt. Der Heranwachsende hat das Realitätsprinzip bereits verinnerlicht, er weiß, dass »Ich will« kein universelles Prinzip ist. Allerdings schafft er sich einen Bereich, in dem die Magie des Wünschens erhalten bleibt, die Zukunft. Junge Menschen neigen zum rigorosen Utopismus, bekräftigt von einem Mangel an Erfahrung mit der Welt, der ihnen Schwierigkeiten bereitet zu erkennen, was man von Menschen erwarten und wichtiger: ihnen zumuten kann. Je mehr man über die Welt weiß, desto schwerer ist blankes Hoffen durchzuhalten. Die praktische Seite der Erkenntnis ist die Resignation.
Diese Tendenz kann allerdings in die Aufgabe aller Ansprüche gegen die Welt führen. In die vollständige Unterwerfung, den reinen Pragmatismus, kurz: in den Opportunismus, der nur noch hinnimmt, was die Welt ihm ohne weiteres anbietet. Auf dieser dritten Stufe der Resignation käme es darauf an, dass das Individuum anstelle von Heiligung oder Liquidation der Utopie lernt, dass politisches Handeln beständige Vermittlung von Utopie und Machbarkeit erfordert.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Stefan W. aus Weimar (21. August 2024 um 13:10 Uhr)Danke! Ich werde diesen Beitrag handschriftlich in die Anthologie für meine Enkel aufnehmen in der Hoffnung, dass sie das begreifen, bevor sie 65 sind.
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