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Aus: Ausgabe vom 22.08.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Antimilitarismus auf dem Campus

»Diese Kämpfe führen wir täglich«

Gegenwärtige Krise bietet Chance für Linksentwicklung an Hochschulen. Ein Gespräch mit Ari Alba Marquez
Von Milan Nowak, Frankfurt am Main
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Marxistischer Kanon: Statue eines Arbeiters, der einen Band mit Texten von Marx, Engels und Lenin unterm Arm trägt (Warschau, 9.7.2013)

Sie haben bei der marxistischen Studienwoche in Frankfurt am Main vergangene Woche zu Rechtsentwicklungen an Hochschulen referiert. Warum sind diese ein wichtiges antifaschistisches Kampffeld?

Wissenschaft ist eine gewaltige Produktivkraft. Je nach Stand der Klassenauseinandersetzungen können Hochschulangehörige das emanzipatorische Potenzial von Wissenschaft und Bildung entfalten oder eben im Gegenteil die Handlanger der herrschenden Klasse sein. Daraus ergibt sich, dass wir als sozialistische Studenten den Kampf an unserem Lebensschwerpunkt, der eigenen Uni, führen. Wir sind ein Teil des gesamtgesellschaftlichen Kampfes gegen rechts.

Sie sprachen ausführlich über die Lage in der Weimarer Republik. Was können wir heute daraus lernen?

Man muss verstehen, wie es zur Gleichschaltung der Hochschulen überhaupt kam. Die Krise der Weimarer Republik war auch eine der Wissenschaften. Elende Lebensbedingungen machten viele Studenten anfällig für faschistische Demagogie – auch weil sozialistische Parteien sie nicht als potenzielle Genossen adressierten. Die überwiegend antidemokratische, nationalkonservative Professorenschaft fürchtete sich vor der sozialen Öffnung der Hochschulen und dem internationalen Bedeutungsverlust. Sie unterstützte die Machtübertragung an die NSDAP oder trug sie mit einem »unpolitischen« Wissenschaftsverständnis schweigend mit.

Aber es gab auch Widerstand: Rote, christliche und pazifistische Studentengruppen sowie Wissenschaftler im Exil stritten mit starken politischen Überzeugungen für eine Wissenschaft im Dienst der Menschheit. Daran haben wir erinnert, als wir dieses Jahr Gedenklesungen an die Bücherverbrennungen 1933 abgehalten haben. Wir müssen lernen von dem, was die Nazis verbrennen und vernichten wollten.

Woran machen Sie aktuelle Rechtsentwicklungen an den Hochschulen fest?

Es geht darum, ob Studium, Lehre und Forschung im Sinne der objektiven Mehrheitsinteressen stattfinden oder dagegen. Sorgen sie für Frieden, soziale Sicherheit und Demokratie – oder helfen sie Krieg, Sozialabbau und Herrschaft? Die offenen Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit, gegen die Palästina-Solidarität sind eine klare Rechtsentwicklung. Ebenso die Militarisierung der Forschung und die Angriffe auf die Zivilklauseln. Die Unterfinanzierung und Drittmittelabhängigkeit verstärken die Verwertungslogik, indem sie wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund stellen. Insbesondere die Rüstungsindustrie reibt sich schon die Hände. Auch die Entdemokratisierung der Hochschulen, die Prekarisierung der Studenten und die Verschulung des Studiums sind Rechtsentwicklungen.

Wie wollen Sie gegen die Rechtsentwicklungen an den Hochschulen vorgehen?

Wir haben Mut und Hoffnung. Die gegenwärtige Krise bietet die Chance für eine Linksentwicklung: für Wissenschaftsfreiheit, Friedenswissenschaften, Ausfinanzierung, Demokratisierung, soziale Sicherheit im Studium und Wissenschaften in gesellschaftlicher Verantwortung. Diese Kämpfe führen wir täglich. Zum Beispiel um die Zivilklauseln: Es geht nicht nur darum, Militärforschung aus der Uni fernzuhalten oder zu entlarven, sondern vor allem um die Entwicklung von Friedenswissenschaften in allen Disziplinen.

Selbstverständlich kann ein Kampf um Frieden an den Hochschulen nur gelingen, wenn gesamtgesellschaftlich darum gerungen wird. Deshalb mobilisieren wir als Verband auch zur bundesweiten Friedensdemonstration am 3. Oktober in Berlin. Denn ohne Frieden ist alles nichts, wie schon Rosa Luxemburg wusste: Sozialabbau, Angriffe auf Wissenschaftsfreiheit und autoritäre Ideologien hängen untrennbar mit der Militarisierung und internationalen Blockkonfrontation zusammen.

Ari Alba Marquez ist seit 2022 Mitglied des Bundesvorstands des Sozialistisch-demokratischen Studierendenverbands (Die Linke.SDS)

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